Bis heute ist das Handwerk – vor allem in den gewerblich-technischen Berufen – noch sehr männlich geprägt. Das soll sich ändern. Wie die Situation aktuell aussieht, welche Potenziale noch ausgeschöpft werden können und wie Frauen im Handwerk mehr Sichtbarkeit bekommen können, haben wir Cornelia Lutz, Bereichsleiterin B2C-Messen und Leitung „Zukunft Handwerk“ gefragt.
Von Isabell Angele
courage-online.de: Denkt man an eine Baustelle oder Werkstatt, denkt man überwiegend an Männer. Weshalb sind Frauen im Handwerk in unseren Köpfen so unterrepräsentiert?
Cornelia Lutz: Das Handwerk ist mit seinen 130 unterschiedlichen Gewerken sehr vielseitig. Frauen wählen dabei häufig die kreativen Handwerksberufe. In vielen Bereichen wird das Handwerk zwar deutlich weiblicher, aber wenn wir an die klassische Baustelle und somit an diese Gewerke denken, dann sind sie sicherlich noch männlich dominiert. Aber auch hier hat sich in den letzten Jahren vieles getan.
Wie sehen denn die tatsächlichen Zahlen von Frauen im Handwerk aus?
Insgesamt liegt der Frauenanteil bei neugeschlossenen Ausbildungsverträgen im Handwerk mit 19,7 Prozent bei nur fast einem Fünftel. Vor allem in den gewerblich-technischen Berufen bleiben Frauen vielfach noch unterrepräsentiert. Frauen wählen häufig kreative Handwerksberufe. Weit oben auf der Beliebtheitsskala rangieren der Beruf Maßschneiderin (Frauenanteil 2019: 84,5 Prozent), Goldschmiedin (78,9 Prozent), Konditorin (80,5 Prozent) oder Augenoptikerin (67,2 Prozent). Aber auch einzelne technische Berufe, etwa Zahntechnikerinnen (54,5 Prozent) oder Orthopädieschuhmacherin (43,2 Prozent), sind bei Frauen durchaus beliebt. Deutlich gestiegen ist der Anteil junger Frauen, die Bäckerin, Malerin und Lackiererin oder Tischlerin werden. Auch wenn der Friseurberuf noch unangefochten auf Platz Eins der Top-Berufe für Frauen steht: In vielen Bereichen wird das Handwerk deutlich weiblicher.
Wie kommt es, dass die Verteilung gerade so aussieht?
In der Vergangenheit hatte das Handwerk leider tatsächlich in der Gesellschaft hauptsächlich das Bild von männerdominierten Baustellen und Werkstätten. Vor allem der verstärkte Druck durch die Gesellschaft, der das Abitur und ein nachfolgendes Studium zu Top-Zielen erklärt hat, ist Ursache dafür. Dieser Blickwinkel hat bei uns zu einem Akademisierungswahn geführt. Leider oft unabhängig davon, ob ein Studium und der nachfolgende Job wirklich erfüllt, glücklich macht oder das Einkommen bzw. die Work-Life-Balance der Akteur:innen selbst oder auch ihrer Familien sichert. Als selbständige Malerin zum Beispiel bin ich sehr frei in meiner Zeiteinteilung und kann durch eine ordentliche Positionierung eine gute Markt- und Wettbewerbssituation und damit sehr gute Umsätze erzielen, das wurde lange übersehen bzw. wurde dem wenig Wertschätzung entgegengebracht. Hier ist aktuell zum Glück ein Umdenken erkennbar. Dazu haben unter anderem die seit mehreren Jahren sichtbare Imagekampagne im Handwerk stark dazu beigetragen.
Ergeben sich daraus Potenziale, die es auszuschöpfen gilt? Was muss sich dafür ändern?
Ein allgemeines Umdenken ist aus meiner Sicht jetzt besonders wichtig. Und hier aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Hierzu zählen nicht nur die jungen Menschen, die vor ihrer eigenen Berufswahl stehen, sondern es muss auch ein Perspektivwechsel bei den Eltern, Lehrern und in der Gesellschaft insgesamt stattfinden. Das Handwerk bietet heutzutage so viel Chancen und steht vor allem für Werte wie Nachhaltigkeit, sinnstiftende Tätigkeiten und auch Sicherheit. Diese Werte sind vor allem für die jungen Generationen wichtig und hier bietet das Handwerk die besten Voraussetzungen. Zusätzlich wandelt sich das Handwerk und somit auch die Berufsfelder im Handwerk. Hier spielt auch der digitale Wandel eine große Rolle, denn die körperlichen Belastungen handwerklicher Berufe werden deutlich geringer – und die Jobs noch interessanter!
Stehen Frauen im Handwerk vor besonderen Herausforderungen?
Aus meiner Sicht gibt es für Frauen im Handwerk keine anderen Herausforderungen, die es nicht aktuell insgesamt gibt. Leider begegnen wir in unserer Gesellschaft weiterhin vielen Klischees, die unter anderem besagen, dass es klassische männer- oder frauendominierte Jobs gibt. Hier müssen wir gemeinsam Umdenken – die nordischen Länder zeigen, wie gut und wirtschaftlich kraftvoll das funktionieren kann. Wir haben heutzutage alle die Möglichkeit einen Job zu wählen, der uns Spaß macht und uns erfüllt. Das muss die Prämisse für die Jobwahl sein und nicht, ob in diesem Bereich eher Männer oder Frauen arbeiten.
Was muss schon bei der Azubi-Anwerbung verändert werden, um Frauen für das Handwerk zu gewinnen?
Aus meiner Sicht müssen – egal in welchem Gewerk – junge Menschen in all ihrer Diversität gezeigt werden. Somit entstehen erst keinerlei Barrieren und alle können das Gewerk wählen, dass sie anspricht.
Wie können Frauen im Handwerk mehr Sichtbarkeit bekommen?
Die Imagekampagne im Handwerk hat in den letzten Jahren auch dem Thema Frauen im Handwerk eine größere Sichtbarkeit bereitet. In den einzelnen Gewerken gibt es großartige Formierungen wie die Dachdecker Mädelz, die z.B. auf der „Dach+Holz“ neben starken Inhalten einen beachtlichen, öffentlichkeitswirksamen Auftritt hinlegen! Auch eine Vielzahl an Influencerinnen mit hohen Reichweiten im Handwerk sorgen aktuell dafür, die Vielfalt, Frische und Modernität des Handwerks nach außen zu transportieren. Die „Zukunft Handwerk“ zum Beispiel, die neue Leitveranstaltung für das Handwerk, wird sich mit den Themen Diversity und Female Empowerment im Schwerpunkt beschäftigen, um hier weitere, positive Effekte zu erzielen. Hier werden dann kontinuierlich Handwerkerinnen und Influencerinnen im Handwerk vorgestellt und erhalten somit eine neue, große Bühne und vor allem noch mehr politische und gesellschaftliche Sichtbarkeit. Das Ganze findet erstmalig Vorträgen, Workshops und Diskussionen vom 8. bis zum 10. März 2023 im ICM in München statt.
Die Bemühungen, mehr junge Menschen im Allgemeinen und im Speziellen Frauen für das Handwerk zu begeistern, sind seit einiger Zeit sehr groß. Merken Sie bereits einen Wandel, dass sich mehr für eine Karriere im Handwerk entscheiden?
Ein Umdenken hat bereits stattgefunden. Das gilt es weiter voranzutreiben. Junge Frauen werden im Rahmen der schulischen Berufsorientierung und der Kampagne des Handwerks explizit angesprochen, die eigene Stärken und Talente jenseits von Stereotypen weiterzuentwickeln und neue Wege in der Berufswahl zu gehen. Durch die Stärkung von MINT-Fächern soll das Interesse für gewerblich-technische Berufe geweckt werden. Dass das Wirkung zeigt, beweisen die Zahlen: Mittlerweile erfolgt jede vierte Gründung im Handwerk durch eine Frau. Fast jede fünfte erfolgreiche Meisterprüfung wurde 2019 von einer Frau absolviert (17,1 Prozent). Jeder fünfte Handwerksbetrieb (20 Prozent) wird von einer Frau geführt.
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