Geld wird deutlich teurer. Auch in Europa. Nach langer Diskussion. Denn um die Inflation zu bekämpfen, greifen die Notenbanken zu einem probaten Mittel: Zinserhöhungen. Die FED hat es vorgemacht, die Bank of England und sogar die Schweizerische Nationalbank folgten. Und nun erhöht die EZB um 0,5 Prozentpunkte. Doch welche Folgen hat das für die Geldanlagen?
Von Antje Erhard
Im Juni wagte die US-Notenbank FED die größte Zinserhöhung seit 1994. Ziel war und ist, der rekordhohen Inflation beizukommen. Inflationssorgen hatten bereits im Mai die Börsen auf Talfahrt geschickt und die Menschen weltweit aufgeschreckt. Inzwischen steht die Inflation in den USA bei 9,1 Prozent, in Deutschland bei 7,6 Prozent. Eine Tankfüllung genügt, um zu sehen, dass die Teuerung längst bei uns Verbraucher:innen angekommen ist.
Doch jetzt ist die Gefahr, dass steigende Zinsen das Wirtschaftswachstum abwürgen. Rezession ist das neue Angst-Wort. Es schickte US-Standard-Aktien in den Bärenmarkt, was bedeutet, dass sie zum Hoch mindestens 20 Prozent verloren haben. Noch härter hatte es einzelne Sektoren getroffen: So hatten sich Tech-Aktien zum Teil im Wert halbiert, Anleihenkurse stürzten ab, selbst Gold als Krisen-Währung kam unter die Räder.
Seit Wochen kursiert an den Kapitalmärkten die Frage, ob die Europäische Zentralbank die Leitzinsen um 0,25 oder angesichts der Rekord-Inflation um 0,5 Prozentpunkte erhöht. Die Kritik war ohnehin groß: Zu zögerlich und langsam gehe die EZB vor, um der Inflation Herr zu werden, warfen ihr Ökonomen vor. Bisher hatte die EZB-Chefin Christine Lagarde einen kleinen Zinsschritt in Aussicht gestellt. Die Steuerung der Inflation spielt in der Geldpolitik die entscheidende Rolle. Doch die EZB ist in einer schwierigen Lage. Einerseits muss sie endlich gegen die Inflation vorgehen, andererseits muss sie darauf achten, dass die hochverschuldeten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht überlastet werden mit steigenden Kreditzinsen.
Zuletzt hatte Jean-Claude Trichet als EZB-Chef die Zinsen im Sommer 2011 angehoben. Mario Draghi als sein Nachfolger hatte die Zinsen nie erhöht, auch Christine Lagarde als folgende EZB-Präsident bis dato nicht.
Helaba: Weitere Zinserhöhungen werden folgen
„Die EZB leitet die Zinswende in einer sehr schwierigen Zeit ein“, kommentiert Ulrich Wortberg von der Helaba. Einerseits setze die Inflation die Währungshüter unter Handlungsdruck, andererseits seien aber die Konjunkturrisiken gestiegen. „Es gibt hohe Rohstoffpreise und Versorgungsängste, Lieferengpässe sowie geopolitische Verunsicherung. Letztlich scheint sie sich aber eher der Preisniveaustabilität verpflichtet zu fühlen und daher sind weitere Zinserhöhung zu erwarten.“
Deutsche Bank: Wohl lange keine negativen Zinsen mehr in Europa
„Wir können nicht genug betonen, wie ungewöhnlich die letzten 8 Jahre historisch betrachtet waren“, kommentiert Jim Reid von der Deutschen Bank (Anmerkung der Redaktion: Acht Jahre waren der Zeitraum negativer Zinsen, elf Jahre der Zeitraum ohne Zinserhöhung). Wenn man bedenke, dass die Inflationskräfte schon vor Covid gedreht haben und nun weiter in diese Richtung gehen, sei es möglich, dass wir in Europa keine negativen Zinssätze mehr sehen werden, so weit das Auge reiche. „Angesichts der Energiekrise, einer wahrscheinlichen Rezession im nächsten Jahr und der hohen Wahrscheinlichkeit von Wahlen in Italien im September ist das eine gewagte These, aber die Welt der 2020er Jahre unterscheidet sich in makroökonomischer Hinsicht sehr von der Welt der 2010er Jahre.“
Dennoch: Das Ende von elf Jahren Sorglosigkeit ist gekommen: Ein historischer Tag. Die Zeiten niedriger Zinsen und billigen Geldes, die enorme Kurssteigerungen bei Aktien oder Immobilien ausgelöst hatten, sind vorbei. Nach der FED und anderen Notenbanken rund um den Globus erhöht nun auch die Europäische Zentralbank die Leitzinsen in der Eurozone. Das sind die Zinsen, zu denen sich Banken bei der Notenbank Geld leihen können, um es dann an ihre Kund:innen als Kredite weiterreichen zu können.
Spareinlagen: Tages- und Festgeld werfen weiterhin kaum etwas ab
Die EZB schafft also Negativzinsen ab. Damit dürften die Banken Verwahrentgelte für ihre Kunden ebenfalls abschaffen. Doch Spareinlagen wie Tages- oder Festgeld werfen nach wie vor wenig ab. Schon im Vorfeld der ersten Zinserhöhung hatten einige Banken Zinsen für Tages- und Festgeld zwar etwas erhöht. Doch die Inflation frisst eventuelle Zinsen nach wie vor auf.
Realzinsen bleiben niedrig
Die Realzinsen bleiben aber auch mit steigenden Zinsen in der Eurozone auf absehbare Zeit im Minus. Das sind die Zinsen abzüglich der Inflation. Diese liegt in Deutschland derzeit bei 7,6 Prozent. Die EZB erwartet in diesem Jahr trotz Zinserhöhungen 6,8 Prozent Geldentwertung. Bislang war sie von sechs Prozent ausgegangen.
Immobilien-Darlehen: Bauzinsen steigen und steigen
Was auf dem Sparkonto eher schleppend ankommen wird, ist bei Kreditzinsen Realität: Kreditzinsen steigen. Vor allem bei Immobilien-Krediten machen Immobilien-Käufer:innen derzeit diese Erfahrung. Effektiv sind die Zinsen für Standard-Immobilien-Finanzierungen mit zehn Jahren Zinsbindung auf effektiv 3,3 Prozent gestiegen. So hohe Zinsen gab es zehn Jahre lang nicht. Im Oktober kosteten sie noch 0,7 Prozent. Ende März wies der Immobilien-Finanzierer Interhyp noch 2,0 Prozent aus. Das Ende der Fahnenstange sehen Immobilien-Expert:innen vorläufig bei vier Prozent.
Gold hat Konkurrenz
Veränderungen gibt es auch beim Gold: In den vergangenen drei Jahren ist das Edelmetall um fast 25 Prozent gestiegen. Doch in diesem Jahr geht es deutlich ruppiger zu. Seit Jahresbeginn fällt Gold um fast acht Prozent. Die Rezessionsangst hinterlässt Spuren. Der eigentliche Inflationsschutz Gold wird vor allem durch den Anstieg der Kapitalmarktzinsen, insbesondere in den USA, aber auch in Europa, belastet. Je höher die Realzinsen sind, desto attraktiver werden Staatsanleihen. Die werden wie Gold als sichere Häfen betrachtet – allen voran US-Staatsanleihen. Und da Gold keine Zinsen abwirft, wird es bei Zinserhöhungen unattraktiver. Zehnjährige US-Treasuries rentieren hingegen mit mehr als drei Prozent derzeit.
Anleihen: Renditen innerhalb von drei Monaten verdoppelt
Erhöhen die Notenbanken die Leitzinsen, steigen die Zinskupons neuer Anleihen von Staaten oder Unternehmen. Damit sind die neuen Anleihen attraktiver, die Kurse älterer Titel sinken, weil ihre Nachfrage zurückgeht. So haben sich die Zinsen von zehnjährigen US-Staatsanleihen seit März zeitweise mehr als verdoppelt. Bis zu 3,61 Prozent Verzinsung bekam im Juni, wer den USA Geld lieh. Aktuell sind es noch 3,05 Prozent. Für zehnjährige Bundesanleihen gibt es immerhin 1,2 Prozent.
Doch höhere Zinsen bringen vor allem hochverschuldete Staaten in Europa unter Druck: In Italien stiegen die Renditen zeitweise über vier Prozent. Die hohe Staatsverschuldung schürt Ängste vor einer neuen europäischen Schulden-Krise. Und die kann Europa in der derzeitigen Gemengelage aus Rezessionsangst, Inflation, Energie-Knappheit, Krieg etc überhaupt nicht brauchen. Der Euro geht bereits auf Talfahrt: War er bis dato immer mehr wert als der US-Dollar, so ist er jetzt nahezu gleich teuer. Parität heißt das an der Börse.
Aktien: DAX noch weit vom Corona-Tief entfernt
Für Aktien sind Zinserhöhungen in erster Linie negativ, denn: Kredite werden teurer, Firmen können also schwerer investieren und schaffen womöglich weniger Arbeitsplätze bzw. müssen mehr Geld für Investitionskredite zahlen. Wir Verbraucher:innen geben weniger aus. Die Firmen verdienen weniger. Das kann ihre Aktienkurse belasten. Zugleich sinkt die Geldmenge. Das heißt, es ist weniger Geld im Umlauf, das – anders als in den vergangenen Jahren – in Aktien fließt.
Der DAX hat seit Jahresbeginn bereits 17 Prozent verloren. Die Nervosität ist auch an der Volatilität, der Schwankungsbreite abzulesen. Sie pendelt derzeit um einen Wert von 30. Diesen hatten wir in diesem Jahr bereits mehrfach erreicht. Er illustriert die Nervosität am Märkt. Mit Kriegsbeginn in der Ukraine war er auf fast 50 gestiegen.
Kryptos: Kommt der nächste Krypto-Winter?
Die Sorgen machen auch vor den Kryptos nicht halt. Was als Inflationsschutz beworben worden war, sinkt seit Wochen deutlich im Wert: Seit Jahresbeginn hat die älteste Krypto-Währung Bitcoin mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Ethereum, die zweitgrößte Krypto-Devise, bricht zeitweise sogar um mehr als zwei Drittel ein. Die Inflations- und Rezessionssorgen führen zu einer Kettenreaktion: Krypto-Hedgefonds gehen pleite. Krypto-Anbieter wie Celsius Network in den USA setzen die Rückzahlungen an die Kund:innen aus. In Deutschland haben Kund:innen der Neobank Nuri, vormals Bitwala, seit Mitte Juni keinen Zugriff mehr auf ihre Bitcoins. Auch verschiedene Krypto-Börsen haben Bitcoin-Auszahlungen gestoppt. Viele Anleger:innen haben panisch verkauft. Expert:innen schließen einen Krypto-Winter nicht aus: Das ist eine Phase, in der die Kurse heftig sinken und sich längere Zeit nicht nennenswert erholen.
Sinkende Preise in Supermarkt und Tankstelle?
Verbraucher:innen hoffen natürlich auf sinkende Preise, wenn die Notenbank die Zinsen erhöht. Doch die Hoffnung sollte nicht allzu groß sein. Im Moment dämpfen zwar das 9‑Euro-Ticket und die Tankrabatte die Inflation etwas. Aber diese Maßnahmen sind auf drei Monate befristet. Das bedeutet, dass danach die Preisentwicklung wieder anziehen kann. Zumal vor allem die hohen Energiepreise die Brieftaschen leeren.
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