„Wird das Auto gestohlen, so merkt man das schnell. Beim Datenklau ist das leider nur selten der Fall“, weiß Andrea Pfundmeier, Gründerin der Verschlüsselungssoftware Boxcryptor, aus der Praxis. Wie die Studentin zur Tech-Unternehmerin wurde, was Frauen in männerdominierten Branchen hilft und welche privaten Daten jeder verschlüsseln sollte, verrät sie im Gespräch mit courage-online.de.
Von Michaela Stemper
Freundlich, offen und gar nicht wie ein Tech-Nerd begegnet uns die zarte Andrea Pfundmeier. Von ihr heute als Gründerin zu sprechen, greift zu kurz. Denn ihr Unternehmen Secomba feiert zehnjähriges Jubiläum. Sie empfindet das als Spannungsfeld, irgendwo zwischen Start-up-Feeling und Etabliertsein. Ihr Produkt Boxcryptor, eine Verschlüsselungssoftware für Cloud-Speicherdienste, schloss 2011 eine Sicherheits- und auch Marktlücke. Teilt man heute Daten beispielsweise über Dropbox oder Google Drive, lassen sich diese mit der Software aus Augsburg problemlos verschlüsseln.
„Viele Boxcryptor-Kunden haben mit Technik nichts am Hut. Private genauso wie Anwälte oder Ärzte. Sie alle brauchen eine sichere Lösung für sensible Daten, die man schnell und problemlos einsetzen kann“, erklärt Andrea Pfundmeier, die überraschenderweise keine Informatikerin sondern Wirtschaftsjuristin ist. „Ich war quasi selbst mein bester Kunde.“ Sie beherzigte aber eine Gründerregel: Suche Dir eine/n Partner:in, der/die dich ergänzt! Ihr Co-Head Robert Freudenreich studierte Informatik.
Ohne Gründer-Uni zum Start-up
Andreas Weg? Eher ungewöhnlich. Augsburg eilt weder der Ruf einer Gründer:innen-Uni voraus, noch sind Wirtschaftsjuristinnen besonders start-up-affin. Auch Andreas Eltern arbeiteten im Konzern. Dennoch spürte die 23-Jährige nach diversen Praktika, dass das Leben als Angestellte nicht ihrem Naturell entsprach. Nach einem Uni-Seminar stand fest: ich gründe!
„Für unsere ursprüngliche Geschäftsidee wollten wir Daten sicher bei Dropbox ablegen“, erklärt die Unternehmerin. Um die Daten zu verschlüsseln, entwickelten die Gründer:innen einen Prototyp, den sie ins Netz stellten. Innerhalb weniger Tage wurde dieser über tausendmal in einem Dropbox-Forum runtergeladen. Die heute 33-Jährige erinnert sich an den Aha-Moment: „Wir erkannten, dass nicht nur wir, sondern auch andere ein Sicherheitsproblem hatten. Also fokussierten wir uns auf IT-Security.“
Vom Vorteil, eine Frau zu sein
Wenn die IT-Szene männerdominiert ist, ist die Nische „IT-Security“ quasi die Potenz dessen – eine Bude voller Nerds. „Das Gute ist, man sticht per se als Frau in dieser Welt hervor. Bei Pitches auf Gründerveranstaltungen war ich teilweise die einzige unter zehn Männern. Die Aufmerksamkeit haben wir gezielt für unsere Story genutzt“, erinnert sich Andrea und macht anderen damit Mut. Dabei wirkt sie kompetent und durchweg sympathisch. Nie hat sie die Schraube überdreht, extra auffallende Farben getragen oder durch einen koketten Blick aus den rehbraunen Augen überzeugen wollen.
Mit Vorurteilen räumte sie pragmatisch auf. Erste Kunden, die in die Technik durchgestellt werden wollten, antwortete sie hemdsärmelig: „Ich habe Boxcryptor gegründet, ich kann ihnen schon helfen.“ „Natürlich gab es Situationen, in denen mein Co-Head bevorzugt gefragt wurde, aber das habe ich nie persönlich genommen“, erzählt sie ohne Unterton. Sie rät jungen Frauen: Lass Dich nicht unterkriegen, wenn Gegenwind kommt! Tritt selbstbewusst auf! Fällt beispielsweise eine Frage auf dem Podium in ihren Themenbereich, grätscht sie beherzt rein. Der Mitgründer leitet Fragen aus ihrem Fachgebiet direkt an Andrea weiter. Er war von Anfang an sensibilisiert.
Deshalb ein weiterer Tipp der Top-Gründerin: Schaut euch die Mitgründer:innen genau an! Es geht nicht ums Ego, sondern ums Team.
Nerven wie Drahtseile
Nach zehn Jahren liebt Andrea ihre Arbeit immer noch, auch wenn es menschlich oder unternehmerisch schwierig wird. „Die erste Kündigung war furchtbar. An dem Tag bin ich nicht gerne zur Arbeit gegangen“, erinnert sich die sonst gut gelaunte Andrea. Aber da müsse man eben durch. Wieder blitzt Andreas Pragmatismus auf.
Auch unternehmerisch waren die ersten Jahre unsicher. Die Entrepreneure planten mit 400.000 Euro Investorengeldern, erzielten aber damals noch ein negatives Ergebnis. Tagtäglich schwankte Andreas Unternehmergeist zwischen Hoffen und Bangen. Sie zitterten, ob sie es in die schwarzen Zahlen schaffen würden. Das muss man aushalten können. „Unser Plan B lag in der Schublade. Wir hatten einen Kontostand definiert, ab dem wir die Reißleine ziehen – auch mit Entlassungen“, zeigt Andrea auf und man spürt, wie sehr die Verantwortung auf ihr lastete. Umso mehr fühlte sich das Duo mit diesem Notfallplan gut vorbereitet. Und zum Glück bekamen sie rechtzeitig die Kurve.
Mit 30 auf der Forbes-Liste
Zahlreiche Auszeichnungen bezeugen den Erfolg: der Deutsche Gründerpreis 2013 oder 2017 ein Platz auf der Forbes-Liste der Top-30-Gründer unter 30. „Das sind coole Awards, die zeigen, wir liegen mit unserer Idee richtig. Sie helfen für Branding und Mitarbeitergewinnung. Wichtiger war uns aber der Erfolg im Markt“, zeigt die Geschäftsführerin auf. Wenn sie sehe, dass Krankenhäuser ihr Produkt nutzten, mache sie das stolz.
Auf einer Messe in San Francisco, nahe dem Silicon Valley, erfuhr sie zum ersten Mal, welche internationale Bekanntheit ihr Unternehmen erlangt hatte. Die hippen Besucher kamen auf sie zu und zeigten, dass sie die „German“-Software bereits aufs Smartphone geladen hatten. Heute zählt die TU Dresden mit 95.000 Nutzern ebenso zu den Kunden, wie das französische Entsorgungsunternehmen Suez. Boxcryptor entwickelt sich zu einer der großen Brands der Branche.
Finanzierungsrunden: Kein leidiges Thema
Die Karlsruher Investoren Agile Partners glaubten früh an die sehr jungen Gründer:innen und sind noch heute als Anteilseigner an Bord. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe ist selten, wenn man den Erfahrungsberichten unterschiedlicher Start-ups glauben darf. Umso mehr strahlt Andrea: „Sie glauben an den Case, lassen Freiheiten und sind Sparringspartner.“ An Geld zu kommen, war für die beiden Studenten also erstaunlich leicht. Andrea erklärt, wieso: „Wir konnten einen Prototyp, einen ‘proof-of concept’ und die ersten 5.000 Euro Umsatz vorweisen.“ Nach einem halben Jahr lagen sieben Angebote auf dem Tisch des noch provisorischen Büros an der Uni: sechs Finanzierungen und ein Kaufangebot. Die Gründer hatten die Wahl. Interessant ist, warum die Juristin das Kaufangebot eines US-Unternehmens ablehnte: „Wir sind in der Region verwurzelt und unterliegen den deutschen Datenschutzrichtlinien. Das schätzen unsere Kunden, auch in den USA.“ Sie zeigt Haltung.
Corona als Chance
„Unternehmerisch bot Corona Chancen, weil Menschen im Homeoffice verstärkt Cloud-Dienste nutzen mussten. Für viele Unternehmen bedeutete das den Adhoc-Umstieg ins Cloud-Zeitalter“, so die Unternehmerin. So verzeichnete Secomba im vergangenen Jahr ein Umsatzwachstum von 20 Prozent. Neue Ideen entstanden in den Büros auf dem Gründercampus über Nacht. „Mit der Verschlüsselung von MS Teams haben wir ein neues Produkt von null auf hundert lanciert – quasi vom Homeoffice fürs Homeoffice“, freut sich Andrea Pfundmeier. Immer noch habe sie mehr Ideen als Mitarbeiter. Die Pipeline sei voll.
Auch wenn viele „Boxcryptors“ derzeit im Homeoffice arbeiten, möchte die empathische Unternehmenslenkerin nicht komplett auf „Remote-Basis“ führen. Dafür ist das bunte Büro zugegebenermaßen zu schön: Die Wände leuchten farbenfroh, in bronze-gelb-grün oder gelb-blau-grau. Der Open Space mit smaragdgrünem Sofa lädt zum Austausch ein. „Schade, dass viele das noch nicht sehen konnten“, bedauert Andrea. Sie befürchtet an Empathie zu verlieren, wenn der persönliche Kontakt ganz entfällt. Nach einem schwierigen Gespräch begegnete man sich früher auf dem Flur und bekam durch Mimik Feedback. Heute lege sie nach dem Zoom-Call auf und damit risse ein Stück weit auch der Kontakt ab. So sei es schwer, langfristig Vertrauen aufzubauen.
Kontrolle über die eigenen Daten
Um Vertrauen geht es auch, wenn das Gespräch auf das Thema Schutz der persönlichen Daten kommt. Die Expertin rät: Nimmt man einen kostenlosen Dienst in Anspruch, sollte man hinterfragen: Womit bezahle ich das? Was ist schützenswert? Was sind meine Daten-Kronjuwelen? Und wie kann ich sie verschlüsseln? Essenziell sind, laut Pfundmeier, offizielle Dokumente wie der Personalausweis oder Reisepass mit biometrischen Daten, aber auch Versicherungsunterlagen und Gehaltsabrechnungen. Es lohnt in die Zukunft zu denken: Heute mag es kein Problem sein, Daten über den Gesundheitszustand zu teilen. Zu einem späteren Zeitpunkt – etwa beim Krankenkassenwechsel – kann das durchaus relevant werden.
Die digitale Sicherheitsspezialistin zeigt Verantwortung über das harte Business hinaus: „Bei unserer Arbeit in Schulen geht es nicht darum, wie Kinder ein Programm nutzen. Sondern, dass sie sich bewusst machen, wie sie Daten und Bilder teilen. Facebook wird verteufelt, aber dort gebe ich zumindest wissentlich meine Daten ab. Auf vielen Plattformen sieht das anders aus.“ Andreas Kinderfotos sind übrigens nicht online. Denn die gab es damals noch nicht digital.
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