Immer mehr Firmen sind bemüht, Strukturen für ein agiles Arbeiten zu etablieren, in denen Mitarbeiter flexibel und lösungsorientiert über die Abteilungen und Hierarchien hinweg zusammenarbeiten. Die Idee ist gut, dennoch birgt das Vorhaben große Herausforderungen. Unternehmensberaterin und Autorin Birgit Albrich erklärt, worauf es beim agilen Arbeiten ankommt und wie es gelingt.
von Astrid Zehbe
Sie beschäftigen sich mit agilem Arbeiten und gehen auch in Ihrem kürzlich erschienenen Buch „JOURNAL – Skills in Leadership, Management, Kommunikation“ darauf ein. Was macht aus Ihrer Sicht agiles Arbeiten aus?
Beim agilen Arbeiten werden Ziele gesetzt und nach kurzen Iterationen finden die Ergebnisse und neuen Erkenntnisse Berücksichtigung in den folgenden Planungsschritten. Im agilen Arbeiten werden alle Erkenntnisse, insbesondere auch Fehler, für die nächsten Schritte genutzt. Zudem werden alle Know-how- und Kompetenzträger in die Entwicklung einbezogen.
Was unterscheidet diese Arbeitsweise von unserer traditionellen Art zu arbeiten?
Bislang waren Unternehmen von hierarchischen Strukturen geprägt. Diese Strukturen sind oft starr. In der Spitze wurde entschieden, die Vorhaben und Entscheidungen bis zur Basis durchgereicht und dort wurde umgesetzt. Bei langfristigen Plänen konnten in der Umsetzung neu aufkommende Aspekte schwerlich Berücksichtigung finden. Basismitarbeiter waren rein für die Umsetzung zuständig. Im Wandel der Zeit, insbesondere in der Softwareentwicklung, wo das agile Arbeiten seinen Ursprung hat, wurde sichtbar, dass diese Planwirtschaft nicht mehr funktioniert, wenn Rahmenparameter anders als geplant reagieren.
Teams in agilen Arbeitsumgebungen können sich schneller anpassen?
Ja, denn Beweglichkeit ist immer anpassungsfähiger. In agilen Strukturen werden Vorhaben und Vorgehen vom Ergebnis her definiert und geplant. Was ist die Anforderung an ein Produkt? Welche Kriterien soll es erfüllen? Danach folgt die Frage, welches die beste Vorgehensweise ist. Und nun kommt der entscheidende Aspekt: die besten Vorschläge hierfür kommen vermutlich nicht von dem Menschen, der die Abteilung leitet, sondern von demjenigen, der die beste Idee, die größte Expertise oder das größte Vorstellungsvermögen hat. Eine agile Struktur ermöglicht den Einsatz der Ressourcen, dass jeder bestmöglich beitragen kann.
Welche Vorteile hat dies für Mitarbeiter?
Für das Individuum, den Menschen, bedeutet dies, nicht in einer Funktion festzustecken. Zukünftig werden wir uns in einem System noch deutlicher über unseren Beitrag verorten. Der Beitrag wird bewertet. Für die aktuelle Situation bedeutet dies, dass wir jetzt lernen können – über uns selbst – wie bereit wir sind, uns in agile Strukturen einzufinden.
Agiles Arbeiten erfordert ein gewisses Maß an Bereitschaft zur Veränderung – für manche ist das schwierig. Wie gelingt es einem, sich darauf einzulassen?
Alles dreht sich um das agile Mindset. Egal, was ich weiß oder kann, egal was ich studiert und gelernt habe. Wenn mein Erfahrungswissen es mir nicht erlaubt, meine Fähigkeiten auch in einer veränderten Welt einzubringen, werde ich mit einer geringen Wirkweise zufrieden sein müssen. Weil die Welt sich ständig verändert, keine Situation gleicht der anderen.
Was bedeutet ein agiles Mindset?
Ein agiles Mindset bedeutet, immer wieder neu zu vermessen und zu bewerten. Was in der einen Situation gut funktioniert und eine positive Wirkung erzielt hat, kann bei leicht veränderten Parametern schon nicht mehr wirken, nicht ankommen und somit wertlos sein.
Wie kann man dann reagieren?
Die Bereitschaft, mit Veränderungen umzugehen, ist unerlässlich. Das erreiche ich, wenn ich neugierig bin. Wenn etwas anders läuft als erwartet, kann ich trotzdem in die Situation gehen und staunen, wundern und handeln statt abzulehnen.
Warum genau?
Wenn ich jedoch bei Veränderungen – aus Schutzmechanismus – in einer Haltung der Vermeidung gehe, signalisiere ich Ablehnung. Bei Ablehnung macht mein Gehirn zu. Also warum meine eigenen Ressourcen blockieren? Unser Gehirn ist meistens darauf trainiert, Negatives zu vermeiden und deshalb besonders schnell in negativen Annahmen − damit uns Schmerz und negative Erfahrungen erspart bleiben. Wir können diese Gedanken erkennen und transformieren. So kommen wir in die Bereitschaft für Veränderungen – wenn wir für uns persönlich Möglichkeiten und einen Sinn erkennen können.
Wie gelingt es Führungskräften, agile Strukturen zu etablieren und dabei das Team mitzunehmen?
Durch das Tun, durch das Vorleben und durch Interaktion. Menschen lieben Veränderungen, wenn sie den Sinn erkennen. Und, wenn sie beteiligt sind. Diese Voraussetzungen müssen geschaffen werden.
Wie?
Der Switch von einer hierarchischen in eine agile Struktur hat einen natürlichen Feind – das System selbst. Systeme sind immanent und werden sich am Leben zu halten wissen. Schlüsselpersonen, die in der herkömmlichen Struktur eine feste Position beziehungsweise Funktion begleiten, könnten sich in Gefahr sehen oder einfach ihre Verhaltensweisen beibehalten.
Sollte man dort also beginnen, Veränderungen zu etablieren?
Genau, man sollte bei einem solchen Change mit den Schlüsselpersonen beginnen – oftmals den Personen in leitenden Funktionen. Im ersten Schritt brauchen sie ein neues Rollenverständnis und ihre persönlichen Benefits. Sie müssen sich wiederfinden in dem neuen System – die persönlichen Vorteile erkennen. Nur so kann das Vorhaben, agile Strukturen zu etablieren, gelingen.
Und wie nimmt man die Teams mit?
Die Teams sind in der Regel einfach mitzunehmen, in dem die Möglichkeiten und Konsequenzen aufgezeigt werden: Verantwortungsverteilung, Identifikation durch Sinnvermittlung, Freiraum für Eigeninitiative. Diese Einführung braucht Zeit und Vertrauen. Zeit, um Fehler zu erlauben, sie zu reflektieren und daraus Lernschritte abzuleiten und individuell ein agiles Mindset aufzubauen. Vertrauen, um Erwartungen klar zu kommunizieren, Anforderungen abzustimmen und eine offene Feedbackkultur lebendig werden zu lassen. Prozesse und Strukturen für die Entwicklung der Mitarbeiter, um agil arbeiten zu können, bauen sich dann von Iteration zu Iteration auf.
Welche Herausforderungen birgt das für Führungskräfte?
Sich zurückzunehmen. Neue Werte und Vorgehensweisen für sich erkennen und leben. Den Mut zu haben, daneben zu stehen und laufen zu lassen. Still zu sein und zu wissen, gewisse Erfahrungswerte muss das Team selbst machen, um aus diesen Erfahrungen Lernschritte ableiten zu können. Wertfrei zu moderieren und mit dem Team die richtigen Schlüsse zu ziehen für den nächsten Entwicklungsschritt und dabei nicht in alte – hierarchisch geprägte – Umgangsformen zurückzufallen.
Es geht in Ihrem Buch auch darum, in den „Flow“ zu kommen – was genau verstehen Sie darunter, warum ist das wichtig?
Es ist ein gutes Gefühl, selbst im Flow zu sein und auch andere zu sehen, die im Flow sind. Per Definition ein Gefühl, völlig in einer Aufgabe aufzugehen, das Zeitgefühl zu vergessen und auch über die eigenen Kraftreserven hinauszugehen, ohne Schaden zu nehmen, weil das Schaffensgefühl und die Freude mehr Energie generiert als verbraucht. Ich persönlich finde es wichtig, immer mal wieder in diesem Zustand zu sein und zu arbeiten. Weil dies die eigene Komfortzone öffnet und zeigt, unsere Grenzen sind viel dehnbarer als wir vermuten.
Was raten Sie Menschen, die in diesen Flow kommen wollen?
Jetzt an sich selbst und für sich selbst arbeiten, mit etwas, was sie schon immer tun oder ausprobieren wollten. Im Flow sind wir dann, wenn wir uns nicht überfordern und auch nicht unterfordern. Wenn wir an unsere Grenzen gehen und uns etwas zutrauen, wovon wir noch nicht mit Sicherheit wissen können, ob es gelingt. Wenn wir etwas wagen, mutig sind, wir uns mit etwas beschäftigen, was uns ganz einnimmt. Nehmen Sie sich etwas vor, was für Sie gut ist oder Sie Ihren persönlichen Zielen näherbringt. Die Zeit eignet sich hervorragend für Selbstreflexion und mit sich selbst neues auszuprobieren, alte Routinen infrage zu stellen, zu verlassen um neue aufzubauen. Wir haben in unserem Journal einen Volitionskompass eingebaut.
Was ist das?
Dieser Kompass führt von einer Handlungsabsicht konkret in die Willensumsetzung. Eine Vorgehensweise, die in allen Themen unterstützend wirkt. Das wäre doch mal was, daran zu arbeiten. Was möchte ich besser können oder anders können: egal ob Kommunikation, Netzwerken oder Meetings leiten oder einfach die Zusammenarbeit anders beeinflussen, die Führungskompetenz stärken oder die persönliche kooperative Durchsetzungsstärke. Attraktiv für Arbeitgeber oder den Arbeitsmarkt sind wir, wenn wir für uns selbst attraktiv sind. Wissen, was wir können und was nicht, und damit offen umgehen.
Birgit Albrich ist Mitgründerin der BANDAO Unternehmensberatung. Sie begleitet seit 20 Jahren Konzerne und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Struktur‑, Personal- und Organisationsentwicklung. Kürzlich erschien ihr BANDAO Journal — Skills in Leadership, Management, Kommunikation. Es soll Menschen unterstützen, die individuell in ihrem Wirkungskreis einen Kompetenzaufbau forcieren wollen. Courage verlost 3 Exemplare des BANDAO Journal. Wer eines der Bücher gewinnen möchte, sendet bis 30. Juni 2020 eine E‑Mail an courage@finanzenverlag.de. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
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