Das Leben ist voller Risiken. Gegen die finanziellen Folgen vieler Risiken gibt es Versicherungen. Doch nicht jede Police ist sinnvoll. Und längst nicht alle existenziellen Risiken sind auch allen bewusst. Courage klärt über die wirklich großen Risiken auf – und wie man sich gegen deren Folgen absichert.
Von Stephan Haberer
„Prognosen sind schwierig – insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dieses Bonmot wird wahlweise dem Schriftsteller Mark Twain, dem Physiker Niels Bohr oder dem Politiker Winston Churchill zugeschrieben. Doch ganz egal, von wem der Satz stammt, er stimmt. Gerade auch, wenn es um die Absicherung von Risiken geht.
Wer heute schon genau weiß, nie zum Pflegefall zu werden, kann sich jede Pflegeversicherung sparen. Wer weiß: „Ich werde niemals jemanden schädigen“, der benötigt keine Haftpflichtversicherung. Doch die Zukunft kennt keiner, und deshalb ist es äußerst sinnvoll, sich gegen Risiken abzusichern, die die eigene Existenz gefährden können.
Existenzielle Risiken
Eines gleich vorweg: Gegen Risiken, die nicht existenzgefährdend sind, muss man sich auch nicht versichern. Wer keine Handy-Versicherung hat, wird nicht Hungers sterben, wenn er sich ein neues Handy kaufen muss, weil das alte kaputtgegangen ist.
Auch eine Reiserücktrittsversicherung ist meist unwichtig. Im schlimmsten Fall zahlt man hohe Stornogebühren und tritt die Reise nicht an. Das wird einen aber nicht in seiner finanziellen Existenz erschüttern.
Die Reise hätte man ja auch bezahlen müssen (und können), wenn man sie angetreten hätte. Okay, dafür hätte man dann einen – hoffentlich – wunderschönen Urlaub genossen. Aber, Hand aufs Herz, existenzbedrohend ist der Rücktritt von einer gebuchten Urlaubsreise nie.
Aber was sind dann Risiken, die so bedrohlich werden können, dass man sich dagegen versichern sollte? Für Privatpersonen sind das gerade mal sechs Risiken. Aber die haben es in sich, wie schon ein kurzer Überblick zeigt:
Das Haftungsrisiko
Jeder und jede, der einem oder einer anderen einen Schaden zufügt, ist laut Bürgerlichem Gesetzbuch grundsätzlich dazu verpflichtet, diesen Schaden zu ersetzen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Schaden mit Absicht zugefügt wurde oder nicht. Es reicht, dass man ihn verursacht hat.
Bei der kaputten Kristallvase kostet das vielleicht 100 Euro – das lässt sich locker aus der eigenen Tasche bezahlen. Aber was, wenn Du beispielsweise – ins Gespräch mit der besten Freundin vertieft – mit einer ausladenden Armbewegung einen Radler von seinem Gefährt holst und dieser so blöd stürzt, dass er Zeit seines Lebens invalide ist?
Auch in solch einem Fall ist der Schädiger zum Ausgleich des Schadens verpflichtet. Und das kann dann locker in die Millionen gehen – Verdienstausfall, medizinische Behandlungen, immaterieller Schadenersatz, Schmerzensgeld. Da ist der finanzielle Ruin programmiert, es sei denn, man hat eine Haftpflicht-Police abgeschlossen.
Das Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrisiko
Den meisten ist nicht klar, was ihr größtes Vermögen, ihr größtes Kapital ist. Es ist ihre Arbeitskraft. Mit dieser erzielen Menschen in der Regel ihr Einkommen. Und rechnet man das nur Pi mal Daumen durch, wird einem schwindelig: Gehalts- und Preissteigerungen, Auf- und Abzinsungsfaktoren außen vor gelassen, ergibt bereit ein Monatsverdienst von 2500 Euro netto im Jahr 30.000 Euro. In zehn Jahren sind es schon 300.000 und in 40 Jahren rund 1,2 Millionen Euro.
Was aber, wenn man plötzlich wegen Unfall oder Krankheit auf Dauer nicht mehr arbeiten kann? Keiner zahlt dann mehr einen müden Euro für geleistete Arbeit und auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall endet nach einigen Wochen. Gut, wer sich dagegen gewappnet hat. Am besten mittels einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
Das Krankheitsrisiko
Apropos Krankheit: Wer krank ist, kann nicht arbeiten, wer nicht arbeitet, erhält als Selbstständige oder Freiberuflerin gar kein Geld. So kann auch eine länger andauernde Krankheit, ernste bis existenzbedrohende Folgen nach sich ziehen. Zudem kann auch die Krankheit selbst ganz schön teuer werden.
Allerdings besteht in Deutschland Krankenversicherungspflicht. Das heißt, jeder muss eine Krankenversicherung abgeschlossen haben. Jedoch muss diese – insbesondere bei privat Krankenversicherten – nicht unbedingt ein Krankentagegeld enthalten.
Bei gesetzlichen Krankenversicherungen ist dagegen immer eine Standard-Absicherung eingebaut. Allerdings kann es hier – bei längerer Krankheit – ein finanzielles Problem bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geben. Denn dann fließt weniger Geld als im Normalfall.
Weshalb auch hier eine Krankentagegeld-Police relevant werden kann – insbesondere für gesetzlich Krankenversicherte, deren Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung liegt.
Das Pflegefallrisiko
Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und steigt. Ende 2019 gab es mehr als vier Millionen Pflegebedürftige. Für 2030 wird mit rund 4,5 Millionen Pflegebedürftigen gerechnet. Und 2050 werden mehr als 5,5 Millionen Menschen auf Pflege angewiesen sein.
Der Hauptgrund für diese starke Zunahme der Pflegefälle ist eigentlich erfreulich: Die Lebenserwartung in Deutschland steigt von Jahr zu Jahr. Die Menschen werden also immer älter. Doch je älter die Menschen, desto höher der Anteil an Pflegebedürftigen.
Während bei den 70- bis 74-Jährigen insgesamt lediglich fünf Prozent pflegebedürftig sind, beträgt deren Anteil bei den über 80-Jährigen bereits 31,7 Prozent. Und bei den über 90-Jährigen liegt die Pflegequote bei rund 66 Prozent.
Doch die gesetzliche Pflegepflichtversicherung deckt längst nicht alle Pflegekosten ab. Eine Heimunterbringung in Pflegegrad V kostet – einschließlich Unterbringung und Verpflegung – leicht 5000 Euro und mehr, die Pflegepflichtversicherung zahlt derzeit davon gerade mal 2005 Euro. Bleiben Monat für Monat 3000 Euro Pflegelücke und mehr. Dafür reicht die gesetzliche Rente nie und das Ersparte geht auch schnell drauf.
Allerdings übernimmt im Fall der Fälle, wenn das eigene Vermögen komplett aufgebraucht ist, meist das Sozialamt die Restkosten. Dann bestimmt aber auch das Amt darüber, in welches Heim man kommt. Wer beides nicht will – Verbrauch des eigenen Vermögens und Fremdbestimmung –, dem bleibt nur der Abschluss einer zusätzlichen privaten Pflegeversicherung.
Das Todesfallrisiko
„Wer früher stirbt, ist länger tot“ – und hat von der besten Lebensversicherung nichts. Denn anders als es das Wort vermuten lässt, ist eine Lebensversicherung eigentlich dafür da, die finanziellen Folgen des Todes eines (Haupt-) Versorgers für die Hinterbliebenen abzumildern. Dafür reichen aber Versicherungssummen von 30.000 oder 50.000 Euro meist nicht aus.
Ganz anders ist die Situation für alle, die keine Angehörigen haben, die sie für den Fall des eigenen Todes absichern müssen: Dann ist oft auch keine Lebensversicherung vonnöten. Das trifft grundsätzlich auf Singles ohne Kinder zu. Und auf Paare, bei denen beide verdienen.
Allerdings gibt es auch bei ihnen Situationen, in denen sie eine Lebensversicherung abschließen sollten, etwa wenn eine gemeinsam erworbene Immobilie abzuzahlen ist.
Das Langlebigkeitsrisiko
Ein blödes Wort für ein ernstes Problem. Zwar ist es für jeden, der bei voller Gesundheit seinen 100. Geburtstag feiern kann, schön, so lange zu leben. Doch ist es oft ein großes finanzielles Problem, wenn – um es salopp zu sagen – am Ende des Geldes noch Leben übrig ist.
Andererseits will aber auch keiner gleich mit Beginn des Rentner:innenlebens „den Löffel abgeben“. Die meisten möchten möglichst 90 Jahre und älter werden. Was im Übrigen auch gar nicht mehr so außergewöhnlich ist wie noch vor 20 oder 30 Jahren.
Im Ruhestand muss praktisch jeder, der keine Unterstützung von Kindern oder Staat erhält, von seiner gesetzlichen Rente oder Pension und dem im Laufe des Lebens Ersparten leben. Angenommen, zu einem einigermaßen angenehmen Dasein werden im Monat 2000 Euro benötigt. Die gesetzliche Rente deckt davon meist nur einen Teil ab.
Frauen, die 2018 in den alten Bundesländern neu in Rente gingen, erhielten im Schnitt gerade mal 688 Euro Monatsrente. In den neuen Bundesländern bekamen Neurentnerinnen immerhin 974 Euro Rente im Monat. Dennoch bliebe auch bei ihnen – ohne weitere Einkünfte oder Renten des Partners – eine Finanzlücke von 1026 Euro. Im Monat!
Macht in 30 Jahren grob gerechnet und ohne Inflation knapp 370.000 Euro. Jetzt aber nicht ob dieser riesigen Summe denken, „das schaffe ich ja nie“. Denn hier hilft zielgerichtetes Sparen und der Zinseszinseffekt. Für Albert Einstein übrigens das achte Weltwunder. Damit und mit den passenden Produkten klappt es mit der Altersvorsorge.
Gemeinsamkeiten
Allen aufgeführten existenziellen Risiken – mit Ausnahme des Haftungsrisikos – ist eines gemeinsam: Die Wahrscheinlichkeit, dass eines dieser Risiken eintritt, steigt mit zunehmendem Alter an.
Das heißt, man könnte auch jeden Monat einen bestimmten Betrag zur Seite legen – sicher und gut verzinst (doch wo gibt es beides noch?) würde daraus im Laufe der Jahrzehnte dank des Zinseszinseffekts ein Vermögen entstehen, das zur Abdeckung der finanziellen Folgen dieser Risiken ausreichen kann.
Das Problem dabei: Selbst wenn es mathematisch gesehen sehr unwahrscheinlich ist, dass ein Ereignis eintritt, heißt das nicht, dass es einen persönlich nicht genau dann trifft. So werden die meisten Leuten zwar erst im hohen Alter zum Pflegefall, doch gibt es auch einige wenige, die dieses Schicksal schon viel früher trifft – etwa infolge eines Unfalls.
Und dann ist es gut, wenn man sich schon frühzeitig abgesichert hat. In den weiteren Folgen dieser Serie wird daher erläutert, welche Möglichkeiten es gibt, sich gegen wirtschaftliche Folgen der sechs existenziellen Risiken abzusichern.
Dabei kommen dann Versicherungen ins Spiel. Denn diese sichern den vorab zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Worst Case ab und verhindern den finanziellen Ruin der Versicherten. Jedoch müssen diese ein paar Regeln beachten, damit die Versicherungen im Fall des Falles auch wirklich greifen. Außerdem wird erläutert, welche unterschiedlichen Arten von Versicherungsvermittlern es gibt, und welche Auswirkungen es haben kann, über wen man eine Police abschließt.
Alle bisherigen Absicherungsteile auf einem Blick:
- Eine Haftpflichtpolice zählt zu den existenziell wichtigen Versicherungen. Worauf beim Abschluss dieser Police zu achten ist, erläutert Teil 2 der Absicherungsserie.
- Gut, wenn Du dann eine Berufsunfähigkeits-Versicherung hast. Wann diese leistet, klärt der dritte Teil der Absicherungsserie: Das größte Vermögen? Die eigene Arbeitskraft!
- Wie man sich gegen finanzielle Krankheitsfolgen – einschließlich Verdienstausfall – absichern kann, klärt der vierte Teil der Absicherungsserie.
- Die gesetzlich vorgeschriebenen Pflegeversicherungen sind keine Vollkasko-Policen. Welche Möglichkeiten gibt es, sich trotzdem gut abzusichern zeigt Teil 5 der Absicherungsserie.
- Das Tabuthema Tod. Wie man seine Angehörigen vor finanziellen Folgen schützen kann zeigt Teil 6 der Absicherungsserie: Der Tod – ein Risiko für Angehörige.