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Unterschätzt werden: Was dahinter steckt und was du dagegen tun kannst

Violeta Stoimenova/iStock
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„Nie werde ich dieses abschätzige Lachen in den Meetings vergessen“, erinnert sich die Digitalspezialistin Stefania L. Als die junge Frau mit französischem Akzent eine Projektleitung übernahm, kostete sie das gewaltig Nerven. Wie auch die Unterschätzten Gehör finden, verraten die Psychologin Stefanie Stahl und der Karriereberater Martin Wehrle. 

Von Michaela Stemper

Die Geschichte der unterschätzten Digitalspezialistin ist schnell erzählt, brauchte jedoch einen langen Atem: Eine Frau, jünger als der Rest des Teams, erhält mit der Projektleitung auch eine ganze Menge Ärger. Insbesondere von zwei Männern. Der eine, ein wohlmeinender Patriarch, der der Kleinen mit dem niedlichen Akzent und der wippenden Afrofrisur das Projektmanagement nicht zutraut. Der andere, Typ Technik-Nerd, zweifelt ihre fachliche Kompetenz an. Durch sein respektloses Lachen versucht er Meeting für Meeting, die damals 28-Jährige aus dem Konzept zu bringen. Beide hatten sie am Ende gewaltig unterschätzt.

Unterschätzte Typen

Wer wird unterschätzt, fragen wir zwei Expert:innen, die sich bestens mit der Materie auskennen: die Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl („Das Kind in dir muss Heimat finden“ / „So bin ich eben! im Job“) sowie den Publizisten und Karrierecoach Martin Wehrle („Der Klügere denkt nach“ / “Den Netten beißen die Hunde“).

Unterschätzt werden laut Wehrle diejenigen, die ihre eigenen Interessen zu wenig im Blick haben. Die für Kollegen einspringen, aber allein dastehen, wenn sie selbst Unterstützung brauchen. Die Projekte entwickeln, aber am Ende des Tages einen anderen die Leistung präsentieren lassen. So werden eigene Bedürfnisse vernachlässigt und die der anderen in den Mittelpunkt gestellt.

Nettigkeit wird gern mit Schwäche verwechselt. Das „Ja“ unterliege dem Gesetz der Inflation und sei eben eines Tages nichts mehr wert, erklärt Martin Wehrle. Wer immer einspringt, wird zum „Mädchen vom Dienst“ und kaum mehr in der Fach- oder Führungsrolle wahrgenommen. Lächeln wird als Zeichen der Unsicherheit gedeutet. Durch Stefanias sympathische Art und ihre vermeintlich niedliche Ausstrahlung wurde sie zunächst in ihrer Rolle als Projektleiterin und in Bezug auf ihre Qualifikation unterschätzt.

Mehr Selbstbewusstsein ist gefragt

Welchem Geschlecht wird weniger zugetraut? Eindeutig dem weiblichen. Frauen vertreten nach Ansicht beider Expert:innen ihre Interessen weniger hartnäckig als Männer. „In meiner Praxis sitzen erfolgreiche Managerinnen, die sich unglaublich für andere einsetzen“, erzählt Wehle, „Eigene Interessen vertreten sie jedoch eher halbherzig. Aus der Karriereberatung kenne er Coachees, die gerne eine Gehaltserhöhung hätten, den Chef aber dadurch nicht in Schwierigkeiten bringen möchten. Da gehe die Empathie zu weit.

Auch die Psychologin Stefanie Stahl plädiert für mehr Selbstbewusstsein. „Frauen leiden in der Regel stärker unter Selbstzweifeln. Und melden sich beispielsweise erst zu Wort, wenn sie sich einer Sache zu hundert Prozent sicher sind. Männer machen den Mund schon bei 50 Prozent auf“, erläutert die Psychologin. Der innere Kritiker sei groß und das liegt nach Stahls Meinung auch am Testosteron. Für sie besteht ein Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und männlichem Sexualhormon. „Testosteronbedingt sind Männer weniger empfindlich und generell konfliktbereiter, wenn sie ein Ziel verfolgen. Frauen hingegen leben eher in der Vermeidung oder Defensive. Der Mann stellt sich hin, hält sich für gut und trägt diese Selbstsicherheit in den Berufsalltag“, erklärt sie.

Zum Teil liege die Ursache für ein defensives Verhalten, laut Wehrle, in der Sozialisation. Jungen konkurrieren beim Fußball oder Wettrennen. Mädchen hingegen spielen kooperative Spiele. So ist soziologisch mehr Zurückhaltung angelegt. Was nicht heißt, dass nicht auch Männer das Problem haben, unsichtbar zu bleiben. Martin Wehrle schätzt deren Anteil aus seiner Praxis als Karrierecoach immerhin auf ein Drittel.

Ein gesellschaftliches Problem?

Zwar arbeite er mit jeden Coachee als Individuum und so könne letztlich nur der Mensch selbst etwas an sich ändern. Dennoch läge das Unterschätzt werden nicht nur am eignen Verhalten und auf keinen Fall sei jemand selbst schuld, stellt Martin Wehrle entschieden klar. Es sei gesellschaftliche Realität, dass viele Männer in Führungspositionen, mit einem männlichen Blickwinkel und in männlichen Netzwerken leben. Kurz: It’s a man world. „Aber die Struktur ist nicht in Stein gemeißelt. Ich wünsche mir, dass sich Frauen zusammentun und sich gegenseitig unterstützten. Denn sie können ihre Power für eine positive Betriebskultur nutzen“, findet Wehrle.

Das beginnt zum Beispiel beim Austausch über das Gehalt mit vertrauten Frauen. Sie wissen offenbar seltener, was andere in vergleichbaren Positionen verdienen. „Frauen entgegnen mir in der Beratung oft, dass sie diesbezüglich im Dunkeln tappen“, erzählt Wehrle, „Aber, wer sich austauscht, kann klare Forderungen stellen. Meine Empfehlung: Legen Sie eine Leistungsmappe an. Wo habe ich Kosten für die Firma gespart oder Projekte geschultert? So kann man in der Verhandlung sachlich argumentieren.“

„Das Frauenbild im Berufsleben wird nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen geprägt“, ergänzt die Autorin Stefanie Stahl, „Denn Männerdominanz hin oder her, es gibt auch Frauen, die ungern mit dem eignen Geschlecht zusammenarbeiten.“ Traditionell herrsche unter Männern ein stärkerer Zusammenhalt. Frauen hingegen unterstützen einander noch zu wenig. Ihr Paradebeispiel: die Personaldebatte der Grünen um Robert Habeck und Annalena Baerbock. Auch hier habe es Frauen gegeben, die die Kandidatur Baerbocks nicht mitgetragen hätten. Dennoch wandele sich das Bild mit jeder Generation, findet Stahl: Frauen würden untereinander kameradschaftlicher, Männer empathischer. Gerade bei den bis 40-Jährigen sei das zu beobachten.

Die große Chance der Unterschätzten

Introvertierte wie Extrovertierte seien übrigens bei beiden Geschlechtern gleich stark verteilt, stellt die Psychologin fest. Gerade leise, introvertierte Mitarbeitende werden oft unterschätzt. Deren Vorteil ist aber: sie denken erst nach und reden dann. Leider äußern sich während dieses Denkprozesses schon die etwas schnelleren Extrovertierten. Jetzt liegt es an der Chefin oder am Chef, bei den Introvertierten verstärkt nachzufragen, um das volle Potenzial des Teams zu heben. Stefanie Stahl rät Führungskräften: „Öfter Nachhaken, auch in Teamsitzungen. Suchen Sie das Einzelgespräch. Oder wechseln Sie zur schriftlichen Kommunikation, in der die Intros deutlich stärker sind.“ Das Plus der Introvertierten: sie performen auf der Langstrecke, verfügen oft über mehr Tiefgang und agieren besonnener. Sind weitreichende Konzepte gefragt, sind sie der Personaljoker. Stefanie Stahl ermutigt die Leisen, sich aus der Deckung wagen – immer, wenn es um die Sache geht: „Denken Sie in Argumenten! Nicht, wie kommt das an? Nicht, was macht das mit der Teambeziehung.“

Drei Tipps für Unterschätzte:

  • Werde Dir Deiner Stärken bewusst!
  • Bereite Dich auf Teamsitzungen vor! Zum Beispiel, indem Du laut sprichst.
  • Übe zu argumentieren! Sei mit Pros und Kontras bestens vertraut.

„Es ist besser, wenn man für seine Leistung bekannt ist. Das ist wie ein Lokal, das von außen aussieht, als gäbe es kein gutes Essen. Dann wird auch keiner reinkommen“, verdeutlicht Martin Wehrle die Situation, „Lassen Sie sich also nicht unterschätzen.“ Mit großem Gebrüll müsse trotzdem niemand seine Leistungen vor sich hertragen. Eine elegante Alternative: Bei wichtigen Projekten den oder die Chef:in mit in CC setzen, damit er oder sie mitbekommt, was man leistet. Loben Auftraggebende, darf der oder die Vorgesetzte das ruhig hören.

Zieh es durch!

Wer auf seinem Standpunkt beharrt, ist selbstbewusst. Bei Frauen heißt es dann gerne: „Die hat Haare auf den Zähnen“. Man muss also mit Gegenwind rechnen, diesen aushalten und nach ein paar Wochen sind die neuen Spielregeln gelernt. In Schlüsselsituationen sei es gut, ein Exempel zu statuieren, rät Wehrle. Einige Male konsequent zu sein genüge bereits.

Auch Stefania fand eine gute Lösung und verschaffte sich Anerkennung. Selbst wenn sie nach jeder Teamsitzung vor Anspannung zitterte und Kopfschmerzen sie plagten. Argument für Argument kam sie voran. Nicht emotional, sondern sachlich bat sie darum zu Ende sprechen zu dürfen, wenn Tech-Nerd durch sein Gelächter störte. Sie blieb klar in ihren Aussagen, hartnäckig in der Sache und überzeugte nach zwei Monaten auch ihre beiden ärgsten Kritiker.

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