Die in der Koalition lange umstrittene Frauenquote für Vorstände von knapp 70 großen Unternehmen in Deutschland soll noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden. Die Fraktionsspitzen von Union und SPD verständigten sich auf letzte Details, mit der erstmals eine Mindestbeteiligung von Frauen in Unternehmensvorständen vorgeschrieben wird.
Erstmals wird Vorständen eine Mindestbeteiligung von Frauen vorgeschrieben. Bislang gibt es eine Frauenquote nur für Aufsichtsräte bestimmter Unternehmen. Die neue Vorstandsquote gilt allerdings nur für börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Firmen mit mehr als 2000 Beschäftigten. Sie müssen künftig mindestens eine Frau im Vorstand aufweisen, wenn dieser mehr als drei Mitglieder hat. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) kritisierte, derzeit gebe es in den Vorständen immer noch häufig “reine Männerclubs, die gern unter sich bleiben”.
“Die erste Quote für die Vorstände der Wirtschaft kommt”, sagte SPD-Vizefraktionschefin Katja Mast am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. “Das ist ein historischer Durchbruch.” Mehr Frauen in den Chef:innenetagen verbesserten die Unternehmenskultur, erhöhten die Chancen von Frauen auf allen Ebenen und machten Konzerne erfolgreicher. Davon profitiere auch die Wirtschaft. Der DGB sprach von einem “längst überfälligen Schritt”. “Wir wollen mehr Frauen in den Chefetagen: als hoch qualifizierte Führungspersönlichkeiten in gemischten Führungsteams und als Rollenvorbilder für die junge Generation”, sagte Unionsfraktionsvize Nadine Schön.
Anspruch auf Mutterschutz
Schön verwies zudem auf weitere neue Regeln: “Vorständinnen erhalten künftig einen Anspruch auf Mutterschutz entsprechend der gesetzlichen Mutterschutzfristen.“ Auszeiten bis zu drei Monaten etwa für Elternzeit, Pflege von Angehörigen oder Krankheit dürfen Vorstandsmitgliedern künftig nur dann versagt werden, wenn dem “wichtige unternehmerische Interessen” entgegenstehen. SPD-Fraktionsvize Mast sagte, damit werde “gleichstellungspolitisch eine weitere Lücke” geschlossen.
“Wir sind davon überzeugt, dieses Gesetz wird einen wichtigen Veränderungsprozess in Gang setzen”, ergänzte Mast. “Mehr Frauen in Führungspositionen sorgen für einen Modernisierungsschub, von dem alle profitieren.”
Die Regelung betrifft derzeit laut einer Studie des Vereins Frauen in die Aufsichtsräte (Fidar) 66 Unternehmen, von denen 25 bisher keine Frau im Vorstand haben. Darunter sind auch die Dax-Unternehmen HeidelbergCement und MTU. Der Baustoffkonzern HeidelbergCement hat aber am Donnerstagabend mitgeteilt, dass ab September eine Frau mit der Zuständigkeit für Nachhaltigkeit in den Vorstand berufen werde. Der Triebwerksbauer MTU verwies auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters darauf, dass der Aufsichtsrat 2017 für den Vorstand das Ziel einer Frauenquote von 25 Prozent bis 2022 formuliert habe. Der MTU-Vorstand besteht zurzeit aus vier Männern.
Allein die Ankündigung der Bundesregierung, eine Quote durchsetzen zu wollen, habe Fidar zufolge aber schon einen Effekt gehabt: Seitdem hätten Adidas, Bayer, Eon, Infineon, Fielmann und Südzucker Frauen in ihre Vorstände berufen.
Wie Fidar auf der Grundlage von 186 börsennotierten Konzernen herausfand, gab es in 103 der untersuchten Firmen keine einzige Frau in der Vorstandsetage. “Wir untersuchen die DAX-Unternehmen seit nunmehr zehn Jahren. Das Ergebnis ist nur dort zufriedenstellend, wo die gesetzlichen Regelungen zahlenmäßig wirken”, sagt Fidar-Präsidentin Monika Schulz-Strelow.
Die neue Quote für Vorstände ergänzt eine Frauenquote für Aufsichtsräte, die bereits 2015 eingeführt wurde. Ab einer bestimmten Größe — in der Regel ab 2000 Beschäftigten — müssen mindestens 30 Prozent der Aufsichtsratsplätze mit Frauen besetzt werden. Diese Regelung habe bewiesen, dass Quoten wirken könnten, sagte Lambrecht. “Sie verändern nicht nur die Zusammensetzung der Führungsgremien, sondern sie wirken sich auf die gesamte Unternehmenskultur aus.”
Über die nun vereinbarte Mindestbeteiligung für Vorstände war in der Koalition jahrelang gestritten worden. Im Januar hatte das Kabinett einen entsprechenden Entwurf von Lambrecht und der damaligen Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) auf den Weg gebracht. Im Bundestag drohte zuletzt angesichts des Ablaufs der Wahlperiode ein Scheitern, weil das Parlament vor der Bundestagswahl nur noch in zwei Sitzungswochen tagt.
Das Gesetz soll nun in der zweiten Juni-Woche vom Bundestag verabschiedet werden. In den Verhandlungen seien inhaltliche Verbesserungen erreicht worden, sagte Schön. “Mit einer verlängerten Übergangsfrist von einem Jahr geben wir Unternehmen nun einen realistischen Zeitraum für die Kandidatinnenauswahl.” Der Industrieverband BDI begrüßte die Vereinbarung einer einjährigen Übergangsfrist.
Für Firmen mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes fallen die neuen Vorgaben strikter aus. Dort muss eine Frau in einem Vorstand mit mehr als zwei Mitgliedern vertreten sein. Bei den Körperschaften des öffentlichen Rechts wie Krankenkassen und bei den Renten- und Unfallversicherungsträgern sowie bei der Bundesagentur für Arbeit wird ebenfalls eine Mindestbeteiligung eingeführt. Ab zwei Vorständen muss eine davon eine Frau sein.
rtr/dpa-AFX/fh
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