Nur ein kleiner Bruchteil der von Frauen gegründeten Startups erhalten Gelder von Venture Capital Firmen (VCs). Bei dem kanadischen Kreditunternehmen Clearco ist das anders: Etwa 50 Prozent des Portfolios sind Gründerinnen. Wir haben mit Clearco-Chefin und Co-Gründerin Michele Romanow darüber gesprochen, was sie anders macht und was uns bei der 500 Millionen Euro schweren Finanzierungsrunde in Deutschland erwartet.
Von Isabell Walter
courage-online.de: Frau Romanow, was fasziniert Sie an der Gründerszene so?
Michele Romanow: Ich war sozusagen schon immer Unternehmerin und habe auch selbst mehrmals gegründet. Nur zwei Beispiele: Ich machte meinen Abschluss in Bauingenieurwesen und realisierte zu der Zeit, dass die weltweite Versorgung von Kaviar knapp war. Also zog ich kurzerhand an die Ostküste Kanadas und baute eine Fischerei auf. Das war eine sehr verrückte Zeit, das Geschäft hat aber langfristig nicht funktioniert. Mit meinen damaligen Geschäftspartnern habe ich als nächstes die E‑Commerce-Plattform Buytopia gegründet. Mit Unternehmensgründungen habe ich also Erfahrung.
Später haben Sie als Investorin bei “Dragons’ Den”, der kanadischen Vorlage zu “Höhle der Löwen”, jungen Unternehmer:innen unter die Arme gegriffen.
Genau, ich kam vor etwa acht Jahren zur Show und ich dachte nur: “Moment, die Gründer geben zehn Prozent von ihrem Unternehmen ab für die ersten 100.000 Dollar? Das macht überhaupt keinen Sinn.” Ich schlug vor, ihnen die 100.000 Dollar zu geben. Aber statt, dass ich dafür zehn Prozent Unternehmensanteile bekomme, wollte ich so lange mit zehn Prozent am Umsatz beteiligt werden, bis das Kapital zurückgezahlt ist – plus weitere sechs Prozent Rendite. So bekamen die Gründer das Investment, das sie brauchten, mussten aber keine Unternehmensanteile abgeben. Das ist heute etwa fünf Jahre her und war der erste Clearco-Deal. Bis jetzt haben wir mehr als 3,2 Milliarden Euro in rund 9.000 verschiedene Unternehmen investiert.
Ist das dann nicht einfach ein Kredit?
Ja, das haben die Gründer auch gesagt. Der Unterschied zu einem Kredit ist, dass die Jungunternehmer keine Garantien oder Eigenkapital mitbringen müssen. Was ich stattdessen bekomme, ist Einblick in alle Tools, Daten und Konten des Unternehmens wie etwa Umsätze oder den Facebook Ads-Account.
Nur 5,2 Prozent der von Frauen geführten Startups erhalten Investitionen von Venture Capital Firmen (VCs). Viele Gründerinnen geben stattdessen ihr Eigenkapital aus. Woran liegt das?
Ich denke nicht, dass Frauen nicht versuchen würden, Geld von VCs zu bekommen. Es gibt in diesem Bereich aber sehr viele Vorurteile und Hürden, denen sich die Frauen stellen müssen. Das ist sehr schade, da es unheimlich viele Frauen gibt, die tolle Unternehmen aufbauen. Genau hier wollen wir ansetzen. Was wir aber nicht wollen, sind spezielle Gelder für Frauen. Das würde Frauen nur das Gefühl vermitteln, es anders nicht zu schaffen.
Und was macht Clearco hier anders?
Bei Clearco arbeiten wir mit einer Künstlichen Intelligenz (KI), die die Unternehmensdaten sichtet, die Höhe möglicher Investments berechnet und innerhalb kürzester Zeit vergibt. Das Kapital geht also komplett datenbasiert und ohne jeden Pitch oder Vorurteile an die Gründer:innen. Uns ist schnell aufgefallen, dass wir 25-mal mehr Frauen unterstützen als klassische VCs. Heute machen von Frauen gegründete Startups mehr als die Hälfte unseres Portfolios aus. Interessant ist vor allem, dass wir mit unserem Angebot gar nicht gezielt Frauen ansprechen. Sondern die KI vergibt die Investments schlicht an die überzeugendsten Unternehmen. Und so sollte es auch sein: Es darf für ein Investment nicht wichtig sein, wie man aussieht, wo man herkommt, oder wo man zur Schule gegangen ist.
Ist es das, was Ihr Unternehmen von Venture Capital Firmen unterscheidet?
Genau, zum einen ist das die komplett vorurteilsfreie Vergabe von Kapital. Doch es gibt noch mehr Punkte: Bei uns müssen die Gründer keine aufwändigen Pitches und zahllose Meetings durchlaufen oder monatelang auf ihr Geld warten. Vor allem aber bleibt das Unternehmen vollständig im Besitz der Gründer:innen. Clearco bekommt lediglich einen Prozentanteil vom Umsatz, bis das Investment zurückgezahlt ist plus sechs Prozent Rendite. Angenommen, wir vergeben Kapital in Höhe von 100.000 Dollar: Die Gründer:innen zahlen uns dann täglich einen gewissen Prozentsatz ihrer Umsätze zurück, bis die 100.000 Dollar erreicht sind. Plus sechs Prozent sind das dann 106.000 Dollar.
Bei Clearco vergibt die KI das Geld komplett automatisiert und datenbasiert innerhalb weniger Stunden. Fehlt da nicht die persönliche Komponente?
Ich habe schon viele solcher Deals ausgehandelt und habe gemerkt, dass es einfach ein ganz anderer Denkansatz ist. Wenn man einen Gründer persönlich sieht, kann er einem die Geschäftsidee und die Vision erzählen und man fasst eventuell Vertrauen. Aber in den Unternehmensdaten kann man ebenfalls sehen, ob in der Vision Wachstumspotenzial steckt. Und vor allem: Daten lügen nicht. Werden die ganzen Konten und so weiter verbunden, sieht man schnell, woran man ist.
Zusätzlich bringen Sie – falls benötigt — mit ClearMatch Gründer:innen mit passenden Partnern wie Agenturen, Technologieunternehmen, Softwareplattformen oder VCs zusammen. Welchen Nutzen zieht Clearco daraus?
Da wir die die Daten sowieso vorliegen haben, ist es sehr leicht zu erkennen, welche Partnerschaften für die wachsenden Unternehmen hilfreich wären. Diese können wir dann vermitteln. Wir haben so viele Unternehmen finanziert, dass wir wissen, wie man Gründer:innen hilft, ihr Geschäft auszubauen. Das kann bedeuten, einen Agenturpartner zu finden, eine neue Technologie zu implementieren oder sogar eine andere Werbeplattform zu testen. Für Clearco ist es im Gegenzug natürlich gut, wenn die Startups wachsen und das Kapital zurückgezahlt werden kann.
Ab Juni starten Sie mit einer umsatzbasierten Wachstumsfinanzierung in Deutschland. Es sind insgesamt Investitionen von 500 Millionen Euro geplant. Wie werden die Unternehmen ausgewählt?
Auch hier läuft die Auswahl über die KI. Erfolgreiche junge Unternehmen können sich also einfach um ein Investment bewerben. Und dann wird anhand der verknüpften Daten geschaut, ob ClearCo mit einem Investment einsteigt.
Wie weit müssen Gründer:innen mit ihrem Unternehmen schon gekommen sein, dass sie sich bei Clearco um eine Finanzierung bewerben können?
Die Unternehmen müssen seit mindestens sechs Monaten am Markt aktiv sein und einen monatlichen Umsatz von mindestens 10.000 Euro erzielen. Außerdem muss das Unternehmen online Waren oder Services anbieten.
Haben Sie bereits in deutsche Unternehmen investiert?
Ja, und das läuft sehr gut, deshalb planen wir hier eine so große Finanzierungsrunde. Beispiele sind etwa Studibuch, ein Marktplatz für gebrauchte Lehrbücher, oder auch Nicki’s, die Luxusmode für Kinder vertreiben, oder Bears with Benefits, die Nahrungsergänzungsmittel in Form von Gummibärchen verkaufen.
Wie viele deutsche Gründer:innen sollen ungefähr davon profitieren?
Das ist sehr schwer zu sagen. Aber ich denke, dass wir in etwa 2.500 Unternehmen investieren können.
Wie schätzen Sie die deutsche Gründerszene ein?
Ich bin sehr begeistert von der deutschen Startup-Kultur. Es gibt hier sehr viele spannende Unternehmen.
Findet uns auch auf: