Die Idee des „Social Freezing“ setzt sich immer mehr durch. Doch was hat es damit auf sich? Und wie können Firmen hier agieren?
Von Matthias Lauerer
Sicher, die Worte „Social Freezing“ hat man schon gehört. Nur: Was bedeutet dieser Begriff? Nun, jeden Monat produziert eine Frau eine reife Eizelle. Beim „Social Freezing“ von Eizellen wird der Körper durch eine Hormonbehandlung dazu gebracht, in einem Monat viel mehr, nämlich 15 bis 20 Eizellen im Körper zu produzieren. Und die werden dann bei einem chirurgischen Verfahren aus dem Eierstock entnommen und unter dem Mikroskop untersucht. So stellt man fest, welche Eizellen reif genug sind, um sie einzufrieren. Jene reifen Eizellen werden innerhalb von Minuten eingefroren und bis zu ihrer Verwendung in flüssigem Stickstoff gelagert. Ist die Patientin dann später bereit für eine Schwangerschaft, tauen sie die Oozyten, wie man Eizellen auch nennt, wieder auf und befruchten sie sofort. Dauer der ambulanten Prozedur: weniger als zwei Stunden.
Mehrere Tausend Euro teuer
Dann wären da noch die Kosten. Das „Kinderwunschzentrum Augsburg“ spricht das Thema Finanzen auf der Homepage so an: „Die durchschnittliche Summe für die Behandlung beträgt 2.220 Euro. Darin sind die Aufwendungen für Beratung, Ultraschall, Blutabnahme, Stimulationsbehandlung und Eizellentnahme und die Konservierung der Eizellen und Anästhesie enthalten.“ Hinzu kommen jährlich 320 Euro Lagerkosten und Geld für Medikamente. Wer also über das nötige Kleingeld verfügt, kann sich den Eingriff leisten und der Natur im besten Falle ein Schnippchen schlagen.
Pfiffige Geschäftsidee
Und manchmal entsteht aus dieser sehr persönlichen Entscheidung sogar eine Geschäftsidee wie bei Jenny Saft. Die gründetet gemeinsam mit Tobias Kaufhold die Firma „apryl“, die sich noch vor sehr kurzer Zeit „OVIAVO“ nannte. Hintergrund: 2019 lässt Jungunternehmerin Saft ihre Eizellen einbunkern. Kostenpunkt: 7.500 Euro, wie sie es „Gründerszene.de“ erzählte. In einem Interview mit dem „FORBES Magazin“ sagte sie weiter zum Thema: „Ich war Anfang 30, hatte keinen Partner und hab mich auch noch nicht mit Kindern gesehen — und gleichzeitig tickte die biologische Uhr. Es war einfach der logische nächste Schritt für mich.“ Die Geschäftsidee: Weshalb nicht europaweit Unternehmen und deren Mitarbeitende beraten und einen Concierge-Service in puncto moderner Familienplanung anbieten?
Ein befreiender Moment
„Wir glauben, dass langfristig ein Großteil der Bevölkerung Unterstützung mit reproduktionsmedizinischen Behandlungen benötigt. Diese sind jedoch meist Selbstzahlerleistung und entsprechend teuer. ´Fertility Benefits´ ist ein Weg, mehr Menschen Zugang zu Behandlungen zu geben“, sagt die Gründerin weiter. Was sie heute freut: „Selbst, wenn ich den Moment der Eizellenentnahme nicht feierte: Es ist sehr befreiend, so ein Back-up zu haben.“
Nicht doch eher so wie bisher?
Aber ist es nicht so: Die Schwangerschaft ist der letzte biologische Widerstand gegen die anschwellenden Forderungen von vielen Unternehmen nach kontinuierlicher Arbeit der Mitarbeiterinnen? Fühlen sich weibliche Angestellte nicht unter Druck gesetzt, um ihre Eizellen einzufrieren, statt sich eine Auszeit zu nehmen, um ihre Kinder zu bekommen? Die „American Society for Reproductive Medicine“ sagte über das Thema „Social Freezing“: „Die Vermarktung dieser Technologie mit dem Ziel, das Kinderkriegen aufzuschieben, kann Frauen falsche Hoffnungen machen und sie dazu ermutigen, diesen Weg zu gehen.“
Frühgeburten im Lockdown
Auch interessant: Ärzte in Irland, Dänemark und den USA beugen sich 2020 erstaunt über ihre Frühgeburtszahlen. Denn die gehen während der weltweiten Lockdowns stark zurück. Einer der Mediziner, dem der Unterschied auffällt, heißt Professor Dr. Michael Christiansen und er arbeitet am Kopenhagener „Statens Serum Institut“. Hintergrund: In der dortigen „Biobank“ registrieren sie alle Neugeborenen innerhalb von vier Tagen nach ihrer Geburt. Sein Team findet heraus, dass während der Zwangspause die Rate der vor der 28. Woche geborenen Babys um 90 Prozent sinkt. Von 2001 bis 2019 lag die Frühchenrate pro 1.000 Lebendgeburten im Durchschnitt bei 2,19 Prozent. Im ersten Coronajahr sinkt sie massiv auf nur noch 0,19 ab.
Ganz in Ruhe
Selbst wenn man sich mit der These sicher unbeliebt macht: Muss es weiterhin als „Heldentat“ einer Mutter gelten, wenn sie wenige Tage vor der Niederkunft tapfer zur Arbeit geht? Wäre es nicht besser, wenn Frauen sowie über Jahrtausende vor der Industriellen Revolution und der heutigen Zeit der digitalen Wirtschaft erprobt, in aller Ruhe und in ihrem Tempo Schwangerschaft und Geburt angehen und sich von nichts und niemandem in dieser sehr persönlichen Frage unter Druck setzen lassen? Erst recht nicht von Firmen, die vielleicht nur auf die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiterinnen schielen.
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