Auf keinen Fall soll sich im Herbst und Winter eine Corona-Entwicklung wie 2020 wiederholen – vor allem nicht für die von der Pandemie gebeutelten Schüler. Deshalb mahnen Bundespolitiker schon jetzt die Länder, frühzeitig für einen sicheren Schulstart zu sorgen.
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass es nach den Ferien und besonders in den Wintermonaten immer wieder zu (Corona-)Ausbrüchen an einzelnen Schulen kommen kann“, sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek dem „Spiegel“ mit Verweis auf die Delta-Virus-Variante. Doch auf Länderseite verbitte man sich laut einer Reuters-Umfrage die Mahnungen: Die Kultusministerkonferenz hat sich erst einmal darauf geeinigt, dass man den Einschränkungen über Monate nach dem Sommer mit der Schule im Regel- und Präsenzbetrieb starten will. „Im Vergleich zum Sommer 2020 haben wir eine völlig veränderte Situation an unseren Schulen“, heißt es etwa im Gesundheitsministerium in Rheinland-Pfalz zur Begründung.
Die Schulen als einer der möglichen Corona-Infektionsorte rücken nicht nur deshalb wieder in den Mittelpunkt der Debatte, weil man etwa bei den Lockerungen vor einigen Wochen einen Anstieg der Positiv-Fälle auch unter Schülern verzeichnet hatte. Als viel entscheidender gilt, dass im Herbst 2021 der allergrößte Teil der Erwachsenen geimpft sein wird, während zumindest für die unter Zwölfjährigen noch kein Impfstoff zur Verfügung steht: Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass sich das Virus und vor allem die ansteckendere Delta-Variante am ehesten in dieser Altersgruppe und bei den ungeimpften Zwölf- bis 18-Jährigen ausbreiten könnte.
Für die 4,5 Millionen Jugendlichen zwischen zwölf und 18 in Deutschland ist zwar Biontech als Impfstoff von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen. Aber die Ständige Impfkommission (Stiko) hat keine generelle Empfehlung für eine Impfung von Jugendlichen ausgesprochen. Politiker verstärken trotz der Stiko-Position ihre Hinweise, dass sich mehr Jugendliche impfen lassen sollten.
Länder sehen sich gewappnet
Bei den Schulen weisen die Länder den Vorwurf mangelnder Vorbereitung zurück. „Die Voraussetzungen sind hier besser als im vorherigen Jahr: Die Lehrerinnen und Lehrer sind aufgrund des Vorziehens in der Priorisierung bereits jetzt zu großen Teilen vollständig geimpft, wir haben ein sehr genaues Screening der Corona-Fälle in den Schulen und Testungen sind weiterhin eine vielversprechende Option“, sagt etwa die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper zu Reuters. Auch in Sachsen und anderen Ländern verweist man darauf, dass die Schüler zweimal wöchentlich getestet werden – und damit mehr als fast alle anderen Gruppen. „Im Vergleich zum vergangenen Schuljahr .… mittlerweile auch die gestärkte wissenschaftliche Position, dass die Schüler keine Pandemietreiber sind und sie durch eine mögliche Infektion weniger erkranken und weniger gefährdet sind als Erwachsene“, betont eine Sprecherin des sächsischen Gesundheitsministeriums. In Sachsen-Anhalt verweist man darauf, dass die meisten Infektionen mit der Delta-Variante unter den 25- bis 29-Jährigen feststellt würden, in Rheinland-Pfalz sind es die 40- bis 49-Jährigen – also nicht die Kinder.
Dennoch zeigt schon der Streit um den Einsatz von Luftfiltern, der derzeit nur in Bayern flächendeckend in allen Klassenzimmern kommen soll, wie sehr die Meinungen auseinanderdriften. Die nördlichen Bundesländer etwa wollen ohne Maskenpflicht im Unterricht ins neue Schuljahr starten – Nordrhein-Westfalen wird sie dagegen fortsetzen. Im Bayerischen Gesundheitsministerium verweist man dagegen derzeit noch darauf, dass man mit den Hygiene- und Abstandsregeln sehr gut gefahren sei. „Zudem werden wir inzidenzunabhängig eine Maskenpflicht an Schulen in den ersten beiden Wochen nach den Sommerferien einführen, um das Risiko der Einschleppung von Infektionen, vor allem auch der Delta-Variante oder anderer Mutationen, zu minimieren“, sagt die baden-württembergische Kultusministerin Schopper. Brandenburg wird die Testpflicht im neuen Schuljahr beibehalten. Der Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) reicht dies aber nicht. Es müsse die aussagekräftigeren PCR-Tests und nicht nur Schnelltests in Schulen geben, sagte sie der RND-Mediengruppe.
Schulen sollen offen bleiben
Diskutiert wird auch, ob Schulen in der erwarteten vierten Welle bei wieder steigenden Inzidenzzahlen erneut Schließungen drohen. „Ganz gleich, ob die vierte, fünfte, sechste oder siebte Welle kommt: Lasst die Schulen auf!“, hatte der CDU-Politiker Friedrich Merz vor Kurzem in einem Interview gefordert. „Unser Ziel ist es, dass die Schulen unabhängig der Inzidenz offen bleiben“, heißt es auch im sächsischen Gesundheitsministerium. Man werde die Maßnahmen entsprechend der Infektionszahlen sicher anpassen. „Klar ist auch: Wir können die Schulen sicherer machen, aber wir können sie nicht in Hochsicherheitstrakte verwandeln. Daher bleibt es eine Abwägung zwischen dem Infektionsschutz und dem Recht auf Bildung und den gesundheitlichen Auswirkungen auf die Kinder, wenn kein Schulalltag mehr stattfindet.“ Auch aus anderen Ländern und der Bundesregierung kommt die Erwartung, dass man ohne Schließungen auskommen sollte. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst, hatte gesagt, dass man Schulen nur im Notfall wieder schließen sollte.
Für den Fall, dass die vierte Welle doch heftiger ausfallen sollte, verweist das Kultusministerium Thüringen auf die gemachten Erfahrungen. Ein Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunterricht sei heute viel eingespielter als vor einem Jahr. „Und der Ausbau der Schulcloud ist vorangetrieben worden: Mittlerweile können Zehntausende Schülerinnen und Schüler gleichzeitig die Cloud nutzen, ein im letzten Jahr noch nicht vorstellbarer Fortschritt“, betonte eine Sprecherin. Hessen verweist darauf, dass rund 100.000 digitale Endgeräte für bedürftige Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stünden.
Reuters
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