Die immer noch steigende Inflation schickt Aktien, Anleihen, Edelmetalle und auch Kryptos auf Talfahrt. Aber galten Kryptos wie der Bitcoin nicht sogar als Inflationsschutz? Warum sie jetzt einbrechen.
Von Antje Erhard
Der Kursrutsch von Bitcoin & Co stellt die Nerven der Anleger:innen derzeit auf eine neue Probe: Seit Jahresbeginn hat die älteste Krypto-Währung mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Ethereum, die zweitgrößte Krypto-Devise, bricht sogar um mehr als zwei Drittel ein.
Dabei ist es doch erst gut ein Jahr her, da hatte die Krypto-Euphorie ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Krypto-Börse Coinbase war im April 2021 an die Börse gegangen. Und war – zumindest an dem Tag – wertvoller als die größte Börse der Welt, die New York Stock Exchange, die es seit 1792 gibt. Die Begeisterung für Kryptos war weltweit enorm. Sie spülte den Bitcoin zum Coinbase-IPO auf ein Niveau von fast 60.000 US-Dollar. Im Herbst näherte er sich einem Kurs von 70.000 US-Dollar.
Jetzt, gut ein Jahr später, ist der Bitcoin nur noch ein Drittel davon wert, sank zwischenzeitlich auf unter 20.000 US-Dollar. Ethereum kostet noch etwas mehr als 1.000 US-Dollar.
Das Marktumfeld war zwar schon im Frühjahr ruppig geworden, weil die US-Notenbank FED die Zinsen erhöht hat, um der galoppierenden Inflation überhaupt Herr zu werden. Dieser Prozess dauert noch an. Inzwischen zieht auch die Europäische Zentralbank nach und plant eine erste Zinserhöhung in der Eurozone für Juli. Die nicht die einzige bleiben wird, so viel ließen die Währungshüter:innen schon durchblicken.
„Offenbar stellt sich die Hoffnung auf einen baldigen Höhepunkt der Inflation als die gleiche Art von Trugschluss heraus wie schon zuvor die Hoffnung auf eine lediglich vorübergehende Inflation“, erklärt Jochen Stanzl von CMC Markets. Die langfristigen Zinsen sind längst gestiegen, vor allem in Südeuropa. Dass diese Länder ihre Schulden nicht mehr zahlen können, ist eine der großen Sorgen, die mit all den Schwierigkeiten einhergehen: Die Angst vor einer neuen Euro-Schuldenkrise geht um.
Kryptos als Inflationsschutz?
Doch warb die Krypto-Branche nicht damit, dass Kryptos ein Inflationsschutz seien? Fakt ist, viele Kryptos sind noch gar nicht lang genug auf dem Markt, um schon während einer auch nur annähernd nennenswerten Inflation gehandelt worden zu sein. Der Bitcoin als älteste Krypto-Währung galt aber gerade als Absicherung gegen Inflation.
„Nach meiner Einschätzung ist das nicht widerlegt“, sagt Adrian Fritz, Krypto-Experte bei 21shares, im Gespräch mit courage-online. Es komme darauf an, aus welcher Perspektive man auf den Markt schaue. „Wer im März 2020 investiert hat, als die Notenbanken immer mehr Geld gedruckt haben, um die Folgen der Corona-Krise aufzufangen, der ist jetzt noch im Plus. Und hätte einen Schutz gegen Inflation gehabt.“ Momentan sehe das aber anders aus: „Jetzt, da fast alle Märkte einbrechen, ist der Bitcoin kein guter Inflationsschutz“, gibt Adrian Fritz zu bedenken.
Nach Einschätzung anderer Marktexpert:innen kann es langfristig keine Inflation etwa beim Bitcoin geben, weil er nicht beliebig herstellbar ist – anders als Fiat-Währungen wie Euro und Dollar, die immer weiter gedruckt werden können. „Es gibt am Ende des Mining-Prozesses knapp 21 Millionen Bitcoin und keinen einzigen mehr“, sagt ein Experte. Die Frage sei, ob Menschen den Kryptos generell einen Wert beimessen oder ob dieser irgendwann dauerhaft 70, 80 oder 90 Prozent seines Wertes verlieren wird.
Celsius schürt die Panik
Doch damit nicht genug: Zu Wochenbeginn setzte der Krypto-Anbieter Celsius Network in den USA alle Rückzahlungen an seine Kund:innen aus. „Celsius konnte nicht mehr genug Liquidität zur Verfügung stellen“, ordnet Adrian Fritz die Lage ein. Er sprach von einem regelrechten Bank Run bei Celsius. „Die Anleger:innen sind extrem verunsichert“. Schon der Zusammenbruch von Terra im Mai hatte viele auf dem falschen Fuß erwischt. Was zuerst eher Krypto-Insider:innen interessierte, wurde aber schnell auch in Deutschland ein Thema: Kund:innen der Neobank Nuri, vormals Bitwala, hatten keinen Zugriff mehr auf ihre Bitcoins. Nuri ist Partner von Celsius und bietet ein sogenanntes Bitcoin–Ertragskonto an. Hier erhalten Anleger:innen drei Prozent Zinsen, wenn sie ihre Bitcoins über Nuri an Celsius verleihen. Celsius verleiht die Kryptos wiederum weiter. Und bietet Kredite an, die mit Kryptos besichert werden können. Doch nun wollen die Kund:innen ihre Bitcoins zurück.
„Celsius habe eine Kettenreaktion ausgelöst“, sagen Expert:innen. Schon die Inflation, der Krieg und Stablecoin-Hacks waren eine schockierende Konstellation. Die neuen Schwierigkeiten verstärken den Schock der Anleger:innen noch.“ Auch verschiedene Krypto-Börsen haben Bitcoin-Auszahlungen gestoppt. Bei Märkten wie Binance sei das allerdings nur vorübergehend gewesen.
„Viele Investor:innen, vor allem Privatanleger:innen werden sich nun überlegen, wo sie ihre Kryptos kaufen, verwahren und wem sie sie leihen“, sind Experten sicher. Das Interesse an regulierten Partnern wie Banken dürfte massiv steigen.
„Bei Lendings (das sind Verleihungen von Krypto-Währungen – Anm. der Red.), die Zinsen von 10,15 oder gar 20 Prozent versprechen, sollten die Alarmglocken läuten“, sagen Experten. Erst jetzt werde wohl vielen erst bewusst, worin sie investiert haben.
Die Technologie steht außer Frage
„Derzeit trennt sich die Spreu vom Weizen“, kommentiert Adrian Fritz die Lage. Denn mit dem Erfolg der großen Krypto-Währungen kamen viele neue Projekte auf den Markt, viele davon mit marginalem Nutzwert. „Viele werden nicht überleben, während die Technologie bleibt“, urteilt der Experte. Die Blockchain-Technologie werde immer mehr Anwendungen ermöglichen.
Beispiel: Smart Contracts. Das sind Verträge, die sich selbst erfüllen. Zum Beispiel bei der Kfz-Versicherung: Wenn der Kunde zu schnell mit dem Auto fährt und damit die vorher festgelegten Vertragsregeln verletzt, taucht im Display eine Meldung auf und kündigt höhere Beiträge an. Warum? Weil der Vertrag es so vorsieht. Smart Contracts sind Wenn-Dann-Verträge: Wenn der Fahrer zu schnell ist und die Regeln nicht einhält, dann muss er mehr zahlen.
Auch andere Expert:innen sehen die Technologie und ihre Weiterentwicklung nicht gefährdet: „Coins ohne Mehrwert werden verschwinden, Krypto-Währungen wie Ether etc jedoch nicht.“ Begründung: Wer sich mit der Technologie beschäftige und sie verstehe, erkennt auch ihren Nutzen und ihre bahnbrechenden Möglichkeiten. Das Fazit von Markt-Expert:innen: „Auf lange Sicht haben wir das letzte Allzeithoch noch nicht gesehen.“
Aktuell ist allerdings die Technologie wenig im Fokus. Panik prägt den Markt. So steht der Bitcoin Fear & Greed Index bei sieben – der Wert bedeutet extreme Angst. Zum Vergleich: vergangene Woche lag der Wert bei zwölf. In der Vergangenheit waren solche Stimmungsindikatoren meist ein Zeichen, dass der Markt einen Boden gefunden hat, wenn der Index so extrem stand. Wie etwa zu Beginn der Corona-Krise im März 2020. Ob das auch diesmal der Fall sein wird, kann niemand vorhersagen. „Ob jetzt ein guter Zeitpunkt zum Investieren ist, ist schwierig“, sagt Adrian Fritz. Doch auch nach seiner Ansicht werde sich die Technologie weiter durchsetzen.
Disclaimer: Die Autorin ist in Krypto-Währungen investiert.
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