Es gibt Megatrends, die sind fester Bestandteil unseres Alltags. Individualisierung gehört dazu. Sie ist ein Wertmaßstab in unserer Gesellschaft geworden. Aber wie kann man diesen Trend im Depot nutzen? Die Vielfalt ist gar nicht so einfach.
Von Antje Erhard
Die Wahl haben – das ist etwas Besonderes. Und manchmal ganz schön anstrengend. So gibt es bei Kaffee-Ketten mehr als 70 Auswahl-Möglichkeiten an Getränken, Tassen-Größen und Flavours. Oder Autos: Wer heute ein Auto konfiguriert, kann ziemlich sicher sein, ein Unikat zu erwerben: Zwischen Wagenfarbe, Felgen, Reifen, Ausstattungsreihen, Interieur, Polstern, Technik gibt es so viele Wahl-Möglichkeiten, dass wir alle im individuellen Auto sitzen.
Hochindividualisierte Produkte geben ein Gefühl von Einzigartigkeit. Ein Auto wohl mehr als ein Kaffee, trotzdem: Einzigartigkeit ist ein wichtiger Trend unserer Zeit. Ganze Industrien sind entstanden, um uns unsere Individualität zeigen zu lassen: Vom Handy-Cover bis zum Auto-Tuning. Damit wir einzigartige Dinge besitzen, Dinge, die es auf der Welt vielleicht wirklich nur ein Mal gibt. Oder Dinge erleben wie kein:e andere:r. Wir planen unsere Reisen individuell, und unser Sport ist nicht mehr einfach nur Bewegung, um gesund zu bleiben, sondern auch Selbstbestätigung und Abgrenzung von anderen. Und wir haben irre viele individuelle Möglichkeiten, Sport zu machen, von Airboarding bis Fußballgolf.
Unser Wohlstand ist es, der uns das ermöglicht und uns (weiter) antreibt. Denn unsere Grundbedürfnisse, erste Stufe der Bedürfnispyramide, sind längst erfüllt: Wir haben sauberes Wasser zu trinken, genug zu essen, ein warmes Heim, warme Kleidung. Auch unseren sozialen Bedürfnissen gibt es wenig hinzuzufügen: Freunde, Familie, Arbeit, Sicherheit — all das haben wir meist. Körperliche und seelische Sicherheit und Gesundheit gehören auch dazu. Wir sind soziale Wesen und wollen auch dieses dritte Bedürfnis erfüllt sehen: Wir wollen Freunde haben, bestimmten Gruppen zugehören, lieben und geliebt werden.
Aber das war es so weit mit den gemeinsamen Bedürfnissen: Geht es um Unabhängigkeit, Erfolg, Stärke, Wichtigkeit, Achtung, sind unsere Individualbedürfnisse angesprochen. Und ganz oben steht die Selbstverwirklichung. Das eigene Potential entfalten und ausschöpfen, sich weiterentwickeln in dem, was man ist und kann, seinem Leben einen Sinn geben.
Diese Bedürfnispyramide ist natürlich nur ein grobes Raster, in vielen Punkten angreifbar. Nur anwendbar in unserer westlichen Welt zwischen Wohlstand, Status und Individualismus.
Es geht nicht mehr um unsere Versorgung, sondern um unsere Lebensqualität. Wir kaufen Produkte und Services, die unsere Identität unterstreichen, die zu unserer Lebensweise passen, die uns Bedeutung und Wirkung versprechen.
Unsere Personalisierung und Unverwechselbarkeit sind auch für Unternehmen eine große Herausforderung: Sie müssen Geschäftsmodelle optimieren, um unser Bedürfnis nach Einzigartigkeit erfüllen zu können: Mass Customization bedeutet, Massenprodukte kundenindividuell anzupassen bzw. von uns Kund:innen selbst anpassen zu lassen. Das bedeutet, Skaleneffekte und automatisierte Prozesse weiter nutzen zu können, um die breite Masse zu bedienen und zugleich Produkte einzigartig zu machen.
Die Nuss-Nougat-Creme oder der Kinderriegel mit dem eigenen Namen, Sneakers mit eigenen Fotos sind erst ein Anfang. Der Mehrwert der eigenen Initialen auf Süßigkeiten ist durchaus diskutabel, doch Mass Customization ist ein Erfolgsmodell. Doch wie viel Veränderung, Investitionen und Neuentwicklungen kostet es ein Unternehmen, um sich entsprechend aufzustellen. Kostet es kurzfristig Umsatz? Bringt es langfristig mehr Umsatz? Hebt es sich von anderen Herstellern ab?
Das Ich im Wir
Veränderung – das ist nicht nur Aufgabe von Unternehmen im Megatrend Individualisierung. Das Zukunftsinstitut sieht vor allem Veränderungen für jeden von uns: „In der individualisierten Gesellschaft der Zukunft steht nicht mehr das einzigartige, autonome Ich im Vordergrund, sondern die Verortung des Individuums in Gemeinschaften.“ Also das Ich als Teil der Wir-Kultur. Die geprägt wird vom Verschiedensein im Miteinander. Als weiteren Trend machen die Zukunftsforscher aus, dass persönliche Identitätsbildung kein Widerspruch zu gemeinschaftsorientierten Bewegungen sei, sprich: für sich allein zu stehen, steht nicht (mehr) für Scheitern, sondern dafür, achtsam mit sich selbst umzugehen.
Und Individualisierung bedeute auch, dass Politik und Wirtschaft darauf reagieren müssen: Ob Black Lives Matter oder Klima-Initiative, hier werden Politik, Wirtschaft, Gesellschaft – sprich: wir alle Verantwortung übernehmen. „Problemlösung wird nicht mehr als isolierte Aufgabe einzelner Akteure wie Individuum, Staat oder Wirtschaft gesehen, sondern als strukturelles, gemeinsames Anliegen.“
Das ist wohl noch ein weiter Weg. Doch die Geldanlage in solche Megatrends ist jetzt schon möglich. Anders als bei anderen Trends ist beim Thema Individualisierung das Investieren nicht so einfach und sehr vielfältig. Es gibt kaum Produkte mit dem Label „Individualisierung“. Aber heute gibt es jede Menge Trends der Individualisierung: So machen zum Beispiel Robo Advisor eine individuelle Geldanlage möglich, die auf jeden von uns zugeschnitten werden kann.
Geldanlage Individualisierung – so individuell wie der Megatrend selbst
Individualisierung betrifft aber fast jedes Unternehmen, jede Branche, jede Region. So spielen verschiedenste Megatrends und Trends hier zusammen. Das Spektrum, in dem sich Individualisierung spiegelt, reicht von Smart Factories, E‑Commerce, digitales Lernen und Fintechs über Lifestyle, Food, Klimawandel, Erneuerbare Energien bis hin zu Mobilität, Gesundheit, Geldanlage, Reisen und Konsum. Die Qual der Wahl – die haben wir nicht nur bei der Konfiguration unseres individuellen Autos und an der Kaffee-Theke zwischen 70 Sorten, sondern auch bei der Geldanlage. Die ständige Auswahl – die ist Freiheit und Überforderung zugleich.
Hierfür gibt es unglaublich viele Fonds, ETFs und Unternehmen, die investierbar sind. Manche Anbieter subsummieren mehrere Trends in einem Produkt, als Megatrend-Portfolio oder globale Megatrends. Hier ist Diversifikation gewährleistet, aber womöglich sind hier auch Trends, die verschieden reif sind, zusammengefasst. Sinnvoll ist es, wenn Anbieter darauf achten, dass ein Thema von mehreren Trends unterstützt wird, um nicht kurzfristigen Themen, die schnell wieder absterben, hinterherzuinvestieren.
Diversifikation ist immer Trend
Wichtig ist die Diversifikation. Megatrends als Beimischung im Depot, das breit angelegt ist, kann langfristig eine gute Idee sein, weil Megatrends ebenfalls überwiegend langfristig wirken. Doch beachte auch die Risiken: Ein Aktienkurs hängt an vielen geopolitischen, konjunkturellen und unternehmerischen Entscheidungen. Märkte schwanken, Aktien schwanken, das gehört dazu. Überprüfe dein Depot regelmäßig. Emittenten-Risiken spielen auch eine Rolle bei der Entscheidung für eine Geldanlage – aber nach meiner Einschätzung eine untergeordnete Rolle. Vielmehr solltest du darauf achten, dass ein Fonds oder ETF eine gewisse Größe hat, sonst läufst du womöglich Gefahr, dass er mit einem anderen zusammengelegt oder geschlossen wird.
Positiv ist auch, wenn ein Produkt schon zwei bis drei Jahre auf dem Markt ist: In dieser Zeit muss es sich bewähren. Tut es das nicht, kann es wieder geschlossen werden. Außerdem sind die Produkte besser vergleichbar, wenn sie länger am Markt sind. Gebühren kosten Rendite – hier solltest du unbedingt vergleichen. Nicht nur bei Fonds und ETFs, sondern auch bei Aktien. Hier sind die Transaktionskosten von Anbieter zu Anbieter extrem unterschiedlich.
Natürlich spielt auch die Rendite eine Rolle – auch wenn man von der Vergangenheit nicht auf die Zukunft schließen kann. Renditen schwanken. Sie hängen von vielen Faktoren ab. Nicht nur von der Marktentwicklung, auch von den Kosten. Grundsätzlich sind Branchen- und Themen-Produkte schwankungsanfälliger und risikoreicher als klassische Index-Produkte wie ein ETF auf den S&P 500. Für die langfristige Ausrichtung zählen Stabilität, Sicherheit und Rendite.
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