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Madam Speaker: Die Ära von Nancy Pelosi

Die US-Politikerin Nancy Pelosi
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Seit fast vier Jahrzehnten bestimmt Nancy Pelosi im Repräsentantenhaus die US-Politik mit – und bezieht dabei immer wieder klar Stellung. Wie zuletzt mit ihrem umstrittenen Besuch in Taiwan. Nun geht die Ära der 82-Jährigen zu Ende.

Von Jasmin Lörchner

Nancy Pelosi legt viel Wert auf politische Tradition. Auf Protokoll und Respekt. Doch im Februar 2020 ging es mit ihr durch. Der damalige US-Präsident Donald Trump hielt im Capitol seine jährliche Regierungserklärung, bei der wie immer alle Mitglieder des
US-Repräsentantenhauses und des Senats anwesend sind. Als Sprecherin des Repräsentantenhauses war es Pelosis Aufgabe, das Staatsoberhaupt anzukündigen. Das geschieht eigentlich mit dem Satz „Mitglieder des Kongresses, ich habe das hohe Privileg und die ausgesprochene Ehre, Ihnen den Präsidenten der Vereinigten Staaten anzukündigen.“ Stattdessen sagte Pelosi: „Mitglieder des Kongresses: der Präsident der Vereinigten Staaten.“

Die Rede ist eine durchchoreografierte Angelegenheit, oft unterbrochen vom Applaus der Anwesenden für die Aussagen des Präsidenten. Als Sprecherin der Demokraten saß Pelosi direkt hinter Trumps Rednerpult, neben ihr Vize-Präsident Mike Pence. Immer wieder erhoben sich die beiden, um Applaus für Trump zu spenden – er enthusiastisch, sie höflich. Dann stand Nancy Pelosi auf, als Donald Trump nach vier Jahren Regierungszeit voller Skandale, persönlicher Angriffe und unwürdiger Ausbrüche ein Ende der „Politik der Rache“ und die „unendlichen Möglichkeiten von Zusammenarbeit, Kompromiss und das Gemeinwohl“ beschwor. Kaum, dass er den letzten Satz seiner „State of the Union“-Rede gesprochen hatte, riss Pelosi die Seiten des Redemanuskripts entzwei. Erst ein Bündel, dann noch eines, dann noch eines, dann ein letztes. Mit einer finalen Geste der Abscheu warf sie den Stapel vor sich auf den Tisch. Auf CNN diskutierten die politischen Kommentatoren, was in die Demokratin gefahren war, die ihre Parteimitglieder sonst immer dazu ermahnte, sich im Griff zu haben und Respekt in der politischen Arena zu zeigen. 

Pelosi ist eine der dienstältesten US-Demokratinnen – und eine der erfolgreichsten. Sie hat bahnbrechende Gesetze für die Demokraten auf den Weg gebracht und kennt sich im Machtpoker der Hauptstadt so gut aus wie kaum jemand sonst. Seit 2018 bekleidet Pelosi – Mutter von fünf Kindern, Großmutter von neun Enkeln – zum zweiten Mal die Position der Sprecherin des Repräsentantenhauses. 

Politik in die Wiege gelegt

Sie habe gar nicht vorgehabt, in die Politik zu gehen, erzählte Pelosi im März 2022 in einem Interview mit dem TV-Sender PBS. Dabei wurde ihr die Politik in die Wiege gelegt: Als Nancy Patricia D’Alesandro am 26. März 1940 im Little Italy der Ostküstenstadt Baltimore geboren wurde, saß ihr Vater Thomas D’Alesandro Jr. bereits seit einem Jahr für den Bundesstaat Maryland im US-Repräsentantenhaus. Sie war sieben Jahre alt, als ihr Vater zum Bürgermeister von Baltimore gewählt wurde – er hielt das Amt bis 1959. Und kaum ein Jahrzehnt später bekleidete Pelosis Bruder Thomas D’Alesandro III die gleiche Position.

Römisch-katholische Erziehung

Die junge Nancy half ihrem Vater früh bei Wahlkampfauftritten. Wie man Menschen hinter einem politischen Ziel versammelt, lernte sie nach eigenen Aussagen allerdings von ihrer Mutter Annunciata, die aus Süditalien in die USA eingewandert war. Sie verstand es, die Frauen von Little Italy für die Kampagne ihres Mannes zu begeistern. 

Die Eltern sorgten für eine römisch-katholische Bildung ihrer Tochter am Institute of Notre Dame in Baltimore. Anschließend studierte Nancy Politik an der katholischen Privatuniversität Trinity College in Washington, wo sie ihren späteren Ehemann Paul kennenlernte. Nach der Hochzeit zog das Paar erst nach New York, dann nach San Francisco. Pelosi gebar fünf Kinder und konzentrierte sich einige Jahre auf ihre Familie. 

Beeindruckt vom katholischen Präsidenten John F. Kennedy und geprägt von den liberalen Ideen der Sechziger, verteidigt Pelosi ungeachtet ihrer Religion bis heute das Recht auf Abtreibung. Im jüngst neu entflammten Kampf um das Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, verweigerte der Erzbischof von San Francisco Pelosi im Mai dieses Jahres die Heilige Kommunion – sie empfing sie kurz darauf während einer päpstlichen Messe in Rom. 

Ihr Engagement für die Demokratische Partei begann Pelosi in den Siebzigern als Spendensammlerin, bevor sie 1976 Mitglied des kalifornischen Democratic National Committee wurde und 1987 einen Sitz im US-Repräsentantenhaus gewann. Ihr Wahlbezirk umfasste das Zentrum der homosexuellen Community der Stadt, die in den Achtzigern von Aids überrollt wurde. Wöchentlich starben Menschen an der Autoimmunkrankheit. Pelosi kämpfte gegen die Stigmatisierung Aids-Kranker, boxte ein Gesetz für die gesundheitliche Versorgung einkommensschwacher Aids-Patienten durch und setzte sich lange vor vielen ihrer demokratischen Kollegen für die gleichgeschlechtliche Ehe ein. 

Wahl zur stellvertretenden Oppositionsführerin

2001 wurde Pelosi als erste Frau zur stellvertretenden Oppositionsführerin gewählt und rückte schon ein Jahr später in die erste Reihe auf. Als Mitglied im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses hatte sie 2003 Zugang zu den Informationen, mit denen die Regierung von George W. Bush den Beginn des Kriegs im Irak rechtfertigte. Pelosi befand die Geheimdienstinformationen für nicht überzeugend und machte klar, dass sie gegen den Beginn eines Kriegs stimmen würde. 

Ihrer Partei schrieb sie die Nein-Stimme nicht vor: Die Abstimmung über einen Krieg sieht Pelosi als moralische Frage, die jedes Mitglied für sich selbst beantworten muss. Doch sie erklärte den Kolleginnen und Kollegen die Gründe für ihr Nein. 126 Demokraten stimmten gegen den Irak-Krieg, nur 81 dafür. „Die Leute sagten mir damals: ‚Wenn du nicht für diesen Krieg stimmst, hast du keine Zukunft im Kongress oder in dieser Partei‘“, erzählte sie im Interview mit PBS. Die Kritik focht Pelosi nicht an – 2004 bezeichnete sie US-Präsident Bush für sein Vorgehen im Irak sogar als inkompetent.

Geschadet hat es damals weder ihr noch den Demokraten. Es folgte eine Welle der Ablehnung gegenüber dem Irak-Krieg, und die Partei eroberte bei den Midterm-Wahlen das Repräsentantenhaus zurück. Pelosi wurde als erste Frau zur Sprecherin der Demokraten gewählt. Nach Ausbruch der Finanzkrise musste sie ein Rettungsprogramm für die Wall Street durchs Repräsentantenhaus boxen: Die Entscheidung fiel sechs Wochen vor der Präsidentschaftswahl und war bei den Bürgern unbeliebt – aber die Wirtschaft hatte keine sechs Wochen, um das Paket aus politischen Gründen zu verschieben. 

Unter Präsident Barack Obama half Pelosi, den Gesetzesvorschlag für den Affordable Care Act zu formulieren, mit dem sein Gesundheitsprogramm Obamacare auf den Weg gebracht wurde. Sie bearbeitete und überzeugte unzählige unentschlossene Kollegen, um ihre Stimmen zu sichern. Als das Paket 2010 trotzdem kurz vor dem Aus stand, mahnte sie Obama, nicht „den verweichlichten Weg“ zu gehen und eine abgespeckte Version zu verabschieden. 

Starre Auftritte

Und doch mehrten sich zuletzt die Zweifel, ob Pelosi die Demokraten auch weiterhin führen wird. Schon 2018 stand die Frage im Raum, ob die Partei nach dem schockierenden Wahlsieg von Donald Trump zwei Jahre zuvor nicht eine jüngere Führungsfigur mit neuen Ideen bräuchte. Pelosi machte keine Anstalten, sich zurückzuziehen – und schließlich wählte die Partei sie doch zum zweiten Mal zur Sprecherin. Warum übernahm sie mit beinahe 80 Jahren noch einmal das so wichtige Amt? Weil nach der Niederlage Hillary Clintons sonst gar keine Frau mehr in einer gehobenen Machtposition sichtbar gewesen wäre, sagte sie dem „Time“-Magazine 2018. 

Doch während der Trump-Präsidentschaft wirkte die Demokratin bei ihren Auftritten zunehmend starr. Pelosi, die noch nie eine mitreißende Rednerin war, kann jüngere Wähler nur noch schwer erreichen. 2019 trat sie in der Late-Night-Show von Jimmy Kimmel auf und sprach dort über den bevorstehenden ersten Impeachment-Prozess gegen Trump. Eine knappe Viertelstunde redete sie hölzern über die US-Verfassung und die Gründungsväter der Vereinigten Staaten. Als der Supreme Court im Sommer 2022 das Abtreibungsrecht kippte, verlas Pelosi als Reaktion vor laufenden Kameras ein Gedicht des israelischen Dichters Ehud Manor – und traf die Bedürfnisse vieler Amerikanerinnen damit überhaupt nicht. In den sozialen Medien ließen viele Bürger ihrer Frustration mit wütenden Kommentaren freien Lauf. Wenig überraschend auch, dass sie mit jüngeren Mitgliedern ihrer Partei wie der angriffslustigen Alexandria Ocasio-Cortez schon aneinandergeraten ist. 

Gefeierte Trades

Fans hat Pelosi dagegen in einer unerwarteten Gemeinde: Sie gilt als Investmentikone. Internetuser feiern ihre Trades, die öffentlich einsehbar sind, weil Pelosi als Kongressmitglied per Gesetz eigene Investmentgeschäfte und die ihrer Familie offenlegen muss. 2011 war sie nach Aktiengeschäften des Insiderhandels beschuldigt worden, hatte die Vorwürfe aber abgestritten. Kürzlich erklärte sie, sie besitze gar keine Aktien: Tatsächlich ist es Ehemann Paul, der als Investmentbanker die Finanzgeschäfte führt und dabei offenbar ein sehr gutes Gespür beweist. Damit könnte es allerdings vorbei sein, denn ein neues Gesetz soll Kongressmitgliedern und ihren Angehörigen das Handeln mit einzelnen Aktien untersagen. Pelosi war zunächst kein Fan dieser neuen Regelung, stark unterstützt wurde der Gesetzesvorschlag hingegen von Ocasio-Cortez.

Kurz vor den Midterm-Wahlen im November hat sich die 82-jährige Demokratin noch einen gefährlichen Trip geleistet: Die Nerven der Welt waren nach Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine schon sehr strapaziert, als Pelosi im August gegen den scharfen Protest Chinas nach Taiwan reiste und den Anspruch des Inselstaats auf Unabhängigkeit unterstützte. China antwortete mit militärischen Drohgebärden. Durch ihren Besuch lieferte Pelosi nicht nur den Republikanern Futter, sondern brachte auch US-Präsident Biden in Bedrängnis. Der betonte zwar öffentlich ihr Recht, sich für einen Besuch zu entscheiden, hat seitdem aber seine liebe Mühe im Umgang mit dem Reich der Mitte. 

Der Trip könnte Teil ihres politischen Vermächtnisses sein: Denn wie Pelosi kürzlich bekannt gab, wird sie die Fraktion der Demokraten innerhalb der Parlamentskammer künftig nicht mehr anführen. “Für mich ist es an der Zeit, dass eine neue Generation die Demokratische Fraktion führt, die ich so sehr respektiere”, sagte sie. Fest steht, dass die Partei heute eine andere ist als die, in der Pelosi aufstieg. Sie wird sich nach Pelosi verändern wollen und müssen – aber auch eine ihrer stärksten Figuren vermissen.

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