Marie Luise Ritter — auf Instagram bekannt als @luiseliebt — hat schon 2018 ein Buch über Influencer:innen geschrieben. Wir haben mit ihr über die Szene, über Kooperationspartner und Influencer-Bashing gesprochen.
Von Floriana Hofmann
Als eine der ersten Modebloggerinnen gilt die Italienerin Chiara Ferragni, die ihren Modeblog „The Blonde Salat“ 2009 gestartet hat. Wie sahen die Anfänge der Influencer:innen-Szene aus?
Am Anfang war die Influencer:innen-Szene sehr von ‚learning by doing‘ geprägt. Vor der Professionalisierung und den wirklich großen Reichweiten sind viele freier mit ihrer Meinung und Privatsphäre umgegangen. Man hat nicht mit einberechnet, ob ein Post zur eigenen Marke und Positionierung passt, sondern einfach drauflos erzählt. Die Qualität war anfangs natürlich schlechter und die Szene weniger auf Hochglanz poliert.
Heute gibt es hunderte Influencer:innen, in unterschiedlichen Nischen und Branchen. Wie hat sich die Szene entwickelt?
Vor vier bis fünf Jahren gab es einen richtigen Boom. Instagram ist von der breiten Masse entdeckt worden. Gefühlt jede:r hatte auf einmal einen Instagram-Account. Viele Profile sind in dieser Zeit sehr stark gewachsen. Und: Unternehmen haben Instagram für sich entdeckt – als neuen Marketingkanal. Sie können Personen mit Reichweite dazu nutzen, um ihre Botschaften zu verbreiten. Dadurch haben auch die Influencer:innen bemerkt, dass sich ihre Kreativität monetarisieren lässt. Eine win-win-Situation.
Wie verdienen Influencer:innen Geld?
Hauptsächlich über Kooperationen, also Produktplatzierungen. Man arbeitet mit einer Marke zusammen und stellt eine Kampagne, ein Event oder eine App in einer Story oder einem Feed-Post so authentisch wie möglich vor. Es gibt einmalige Zusammenarbeiten oder jährliche Partnerschaften. Ich mag langfristige Kooperationen gerne. Ein langfristiger Partner von mir ist zum Beispiel bookbeat. Alle zwei Monate kommt hier ein Post. Ich schreibe selbst Bücher, das ist eine Hörbuchapp. Das passt.
Ansonsten gibt es noch Affiliate Marketing. Man verlinkt die Dinge, die man zeigt. Pro Verkauf bekommt man eine Provision. Oder man wird für Shootings gebucht. Man erstellt also Content für den Kanal des Kunden. Das ist wie ein Modeljob.
Wie wählst du Kooperationspartner aus?
Ich überlege vorher, ob ich wirklich hinter einer Sache stehe und auf die Zusammenarbeit Lust habe. Ich möchte auch nichts bewerben, was jemandem schaden könnte oder kritisch zu sehen sein könnte. Stattdessen wähle ich gerne Kooperationen mit einem Mehrwert oder Anspruch aus: Lest oder hört Bücher, bildet euch weiter, achtet auf Nachhaltigkeit. Ich mag Kooperationen mit Second-Hand-Shops. About you hat zum Beispiel so einen Bereich. Mit dem arbeite ich zusammen, weil ich die Idee dahinter unterstütze. Mit der normalen Marke nicht, weil ich keine Fast-Fashion-Ansätze bewerben möchte.
Gibt es auch Influencer:innen, die nicht so strenge Kriterien haben?
Klar, jede:r setzt ja seine persönlichen Vorstellungen für sich selbst fest. Ein Beispiel sind Influencer:innen, die nicht organisch und durchs Bloggen auf Instagram gewachsen sind, sondern zum Beispiel durch eine TV-Show Reichweite erlangen. Da beobachte ich so etwas, was ich vermeide, weil es Menschen schaden könnte, wie Kits zur Zahnaufhellung. Viele wittern das schnelle Geld. Das Einkommen muss Stück für Stück aufgebaut werden. Man muss sensibel ein: Organischer Content und Werbung müssen mindestens ausgewogen sein.
Am Beispiel von Chiara Ferragni sieht man gut, wie es im besten Fall laufen kann: Von einem kleinen Modeblog zu einer Firma mit 80 Mitarbeiter:innen. Was braucht es, um das zu schaffen?
Chiara Ferragni war, wie die großen deutschen Influencerinnen und Bloggerinnen Caro Daur oder Xenia Adonts, schon da, bevor es diesen Hype gab. Und neben dem richtigen Zeitpunkt ist bei ‘The Blonde Salad’ die Authentizität der Postings Gold wert. Sie teilte von Anfang an nahezu jede private Information aus ihrem Leben. Als sie 2009/2010 damit angefangen hat, war es etwas ganz Neues, fremde Menschen dabei zu beobachten, was sie frühstücken oder was sie anziehen. Man konnte plötzlich diesen ganz natürlichen Voyeurismus ausleben.
Viele Influencer:innen haben Managements oder Agenturen. Wie und warum hat sich die Szene professionalisiert?
Das kam mit der Kooperationswelle. Ich habe zwar 2015 schon Kooperationen gemacht, aber da war das noch wirklich überschaubar. 2016 haben sich die Anfragen stark vermehrt. Managements helfen dann beim Auswählen, sodass man sich auf die Inhalte konzentrieren kann. Und Managements verhandeln mit Kunden. Die meisten Influencerinnen waren zu dieser Zeit ungefähr Anfang 20. Vielen Frauen fällt es meiner Erfahrung nach schwerer, zu sagen “Das ist mein Preis und so viel bin ich wert“. Und daraus resultiert, dass man sich runterhandeln lässt.
Hast du ein Management?
Ich mache alles selbst, weil ich das kann. Mir macht es Spaß, mit Zahlen zu hantieren, Rechnungen und Angebote zu schreiben. Man braucht aber Zeit und Energie dafür. Ich hatte einmal ein Management. Aber ich habe dann gemerkt, dass ich diesen Kontrollverlust nicht mag.
Wie stehst du zu dem Begriff Influencer:in?
Der Begriff ist negativ besetzt. Aber: Man beeinflusst — ob man will oder nicht. Ich versuche, zu positiven Dingen zu beeinflussen. Dazu, sich selbst zu lieben, sein Leben jeden Tag zu genießen, so nachhaltig wie möglich zu leben. Wozu man beeinflussen möchte, entscheidet man ja selbst.
In traditionellen Medien findet oft ein richtiges “Influencer:innen-Bashing” statt. Wie gehst du damit um und was entgegnest du solchen Kritiker:innen?
Ich kann da sehr gut drüberstehen, weil ich Spaß an meinem Job habe. Dieses Bashing bezieht sich meistens auf Frauen: „Warum verdient die so viel Geld damit?“ Dass aber Fußballer ein Millioneneinkommen damit erzielen, dass sie mit einem Ball ein bisschen hin- und herlaufen, das hinterfragt niemand. Junge Frauen dagegen, die aus einem Hobby einen Beruf selbst erschaffen, aus Fleiß oder Antrieb, werden kritisch hinterfragt. Das ist ein großes Problem in unserer Gesellschaft.
.. das ist also ein strukturelles Problem…
Das ist internalisierte Misogynie, also tief verankerte Frauenfeindlichkeit. „Frauen, die viel Geld verdienen? Darf die das? Hat die das verdient?“ Frauen müssen sich Anerkennung, eine Daseinsberechtigung, immer erst einmal verdienen. TV-Clown Oliver Pocher hat daraus ein ganzes Geschäftsmodell gemacht, und die Masse feiert es. Der Hass gegen Influencerinnen ist so gesellschaftsfähig, dass es kaum jemanden mehr irritiert.
Influencer:innen wird oft vorgeworfen, nur die schönen Seiten des Lebens zu zeigen.
Bei Trennungen gibt es die Kritik: Wenn man zusammenkommt, gibt es schöne Fotos und wenn man sich trennt, wird es totgeschwiegen. Ganz ehrlich, warum nicht? Wenn man glücklich ist, teilt man eben gerne, und wenn man in sein Kissen heult, greift doch niemand mal schnell zum Handy. Das ist doch auch eine schwere Zeit im Leben. Ich finde es okay, das zu teilen, was gut tut und schön ist.
Seit einiger Zeit gibt es die Bewegung #fürmehrrealitätaufinstagram. Du sprichst offen über deine Corona-Erkrankung. Wie kam es dazu, dass heute mehr Negatives gezeigt wird?
Ich verstehe, dass es gut tut, zu sehen, dass auch andere Personen gerade eine schwere Zeit durchmachen. Ich spreche darüber, dass ich starkes Long Covid habe. Dafür habe ich viel Zuspruch erhalten — von Menschen, die das auch haben und die sich dadurch verstanden fühlen. Es ist wichtig, die Balance zu finden. Dann ist es authentisch. Ich greife auch nicht immer zum Handy, wenn es mir schlecht geht.
Es ist wahrscheinlich schwierig, diese Balance zu finden.
Ich erzähle oft nachträglich, wenn ich mich mit schwierigen Themen, zum Beispiel Trauer und Abschied, beschäftigt habe. Es würde natürlich vielen gefallen – hier sind wir wieder beim Voyeurismus – wenn ich alles sofort teilen würde.
Welche Tipps gibst du kleinen Influencer:innen oder Beginner:innen?
Der Klassiker: Bleib du selbst. Es ist wirklich wichtig, sein eigenes Ding zu machen — und das nachhaltig und nicht durch einen schnellen Hype wie eine TV-Show. Und, dass man sich ein Konzept überlegt. Was will ich machen? Was will ich zeigen? Was sind meine Werte? Was ist mein Ziel? Was ist meine Botschaft? Und man sollte sich auch mit anderen Profilen vernetzen.
Anmerkung der Redaktion: In der neuen Ausgabe von Courage (Erscheinungstermin: 16.Dezember) findest du eine sechs Seiten lange Geschichte über Influencer:innen.
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