Der Bundesfinanzhof (BFH) warnte am Montag, dass künftige Rentner:innen-Jahrgänge nach der geltenden Regelung Gefahr liefen, doppelt besteuert zu werden — einmal, wenn sie Beiträge zahlten und einmal, wenn sie ihre Renten versteuern müssten. Die Bundesregierung will Altersvorsorge-Beiträge schneller steuerfrei stellen als geplant und damit Konsequenzen aus einem Urteil des obersten deutschen Finanzgerichts ziehen.
Vor allem der Grundfreibetrag, der allen Steuerzahler:innen zusteht, müsse bei der Besteuerung der Renten ausgeklammert werden, sagte die Vorsitzende Richterin Jutta Förster bei der Urteilsverkündung in München. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) begrüßte das Urteil: “Die Finanzverwaltung hat sich die Rentenbesteuerung bislang schöngerechnet”, sagte Präsident Reiner Holznagel. Rund fünf Millionen der 21 Millionen Rentner:innen zahlten heute schon Einkommensteuer.
Das Bundesfinanzministerium will die Vorgaben des BFH nach der Bundestagswahl im Zuge einer Reform der Einkommensteuer umsetzen, die kleine und mittlere Einkommen entlastet. “Das ist ein Lösungsvorschlag, den wir uns vorstellen können”, sagte Staatssekretär Rolf Bösinger (SPD) in München. Zu den möglichen Folgekosten äußerte er sich nicht. Beiträge zu gesetzlichen und privaten Renten, die während des Berufslebens gezahlt werden, sollen nicht wie geplant erst 2025, sondern schon früher komplett von der Steuer abgezogen werden können. Derzeit werden sie nur zu 92 Prozent angerechnet. Im Gegenzug müssen Rentner:innen ihre Altersbezüge nach einer Übergangsregelung bis 2040 nach und nach voll versteuern, im laufenden Jahr sind sie noch zu 19 Prozent steuerfrei.
Mit diesem gleitenden Übergang wollte die Bundesregierung 2005 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, das eine Ungleichbehandlung von Rentner:innen und Beamten-Pensionär:innen moniert hatte. Bis dahin waren Renten steuerfrei, die Beiträge wurden aber aus dem bereits versteuerten Lohn gezahlt. Seit 2005 ist es umgekehrt — die Besteuerung erfolgt also “nachgelagert”. Mit der Übergangsregelung sollte vermieden werden, dass Rentner:innen zweimal Steuern zahlen müssten.
Tausende von Rentner:innen haben aber geklagt, weil sie sich trotzdem doppelt vom Staat zur Kasse gebeten sehen. Der BFH wies am Montag zwar die Klagen von zwei Rentner-Ehepaaren ab, weil in ihrem konkreten Fall keine Benachteiligung vorliege. Es erkannte aber Fehler darin, wie die Finanzämter den steuerfreien Anteil der Renten bisher berechnen. (Az. X R 20/19 und X R 33/19)
Konkrete Vorgaben für den Gesetzgeber
Das ist wichtig, weil sich nur dadurch beurteilen lässt, ob das Finanzamt mehr Beiträge zu gesetzlichen Renten, Betriebsrenten und privater Altersvorsorge besteuert hat als der oder die Rentner:in später als Rente voraussichtlich steuerfrei bezieht. Je geringer der steuerfreie Anteil, desto größer die Gefahr einer Doppelbesteuerung. Die dürfe es in keinem Fall geben, befand der BFH. Eine Bagatellgrenze legte er nicht fest. das Gericht machte dem Gesetzgeber erstmals konkrete Vorgaben: Der Grundfreibetrag — derzeit 9770 Euro pro Jahr — müsse bei der Berechnung der Steuerentlastung ebenso außen vor bleiben wie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die der oder die Rentner:in zahlt.
Bisher habe das wegen der hohen Freibeträge allenfalls in Einzelfällen Bedeutung, sagte Richterin Förster. Das werde sich aber absehbar ändern. “Er dürfte daher künftig rechnerisch in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um die aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Rentenversicherungsbeiträge zu kompensieren”, heißt es in der Urteilsbegründung. Selbstständige seien davon stärker betroffen als Arbeitnehmer:innen, Männer wegen der geringeren Lebenserwartung stärker als Frauen und Ledige stärker als Verheiratete. Bei privaten Rentenversicherungen, bei denen nur die Zinserträge besteuert werden müssen, könne es dagegen keine Doppelbesteuerung geben.
“Wir wollen keine Doppelbesteuerung von Rentnern”, betonte Staatssekretär Bösinger. Das Gericht habe aber grundsätzlich bestätigt, dass das Alterseinkünftegesetz verfassungsgemäß sei. Er gehe davon aus, dass es bei den Rentner:innen, die bisher gegen ihre Bescheide geklagt hatten, nicht zu einer Doppelbesteuerung gekommen sei. Einzelne Altfälle müsse man aber prüfen. 142.000 Klagen liegen bei den Finanzgerichten bisher vor.
Die Bundesregierung müsse schnell handeln, forderte der stellvertretende FDP-Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr. “Union und SPD haben das Thema auf die lange Bank geschoben — das geht zu Lasten der Rentner und der öffentlichen Finanzen.” Der rentenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Matthias Birkwald, sprach von einer “regelrechten Klatsche” des BFH. Er forderte eine Anhebung des Grundfreibetrags auf 14.000 Euro pro Jahr. Die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU im Bundestag, Antje Tillmann, verwies darauf, dass die nachgelagerte Besteuerung für die Steuerzahler günstiger sei. “Sie haben damit mehr Netto vom Brutto. Wenn später im Ruhestand die zufließenden Rentenleistungen versteuert werden müssen, sind diese in der Regel niedriger, und die Steuerlast insgesamt sinkt.”
Zusammenfassung Urteil zur Renten Besteuerung:
- Der Bundesfinanzhof (BGH) hat in zwei Grundsatzurteilen Klagen von Ehepaaren gegen eine angebliche Doppelbesteuerung ihrer Renten abgewiesen. Sie würden nicht in ihren Rechten, verletzt, entschieden die obersten Finanzrichter:innen (Az. X R 20/19 und X R 33/19).
- Gleichzeitig warnte der BFH aber vor eine überhöhten Steuerlast künftiger Rentner:innen-Generationen. Davon betroffen seien Selbstständige stärker als Arbeitnehmer:innen, Männer wegen der geringeren Lebenserwartung stärker als Frauen und Ledige stärker als verheirate Paare.
- Dazu legte der BFH erstmals Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung einer doppelten Besteuerung fest. Demnach dürfen weder der Grundfreibetrag noch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in die Berechnung des steuerfreien Anteils der Rente mit einbezogen werden. Andernfalls drohe eine doppelte Besteuerung von Altersbezügen.
- Damit mahnen die Richter:innen Änderungen bei der bisherigen Praxis der Rentenbesteuerung an. Der Grundfreibetrag (aktuell 9744 Euro für Alleinstehende und 19488 Euro für zusammenveranlagte Partner) diene der Absicherung des Existenzminimums – und dürfe nicht ein zweites Mal als steuerfreier Rentenbezug herangezogen werden.
- Das Bundesfinanzministerium will die vom Bundesfinanzhof (BFH) geforderten Änderungen an der Besteuerung von Renten zusammen mit der geplanten Reform des Einkommensteuerrechts nach der Bundestagswahl umsetzen. Dabei sollen auch die Beiträge zu gesetzlichen und privaten Renten während des Berufslebens schon vor 2025 komplett von der Steuer abziehbar sein. Derzeit können sie zu 92 Prozent abgezogen werden.
rtr/rull
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