Finanzhai, Glücksritter, Zocker: Wer an der Börse investiert, gilt schnell als gieriger Spekulant. Gerade viele Frauen wollen lieber „ehrlich“ sparen. Doch Hand aufs Herz: Kommen wir beim Sparen und im Alltag wirklich ohne Spekulationen aus?
Von Gisela Haberer
In Deutschland sind neun von zehn Erwerbstätigen Arbeitnehmer – und damit „Spekulanten“. Denn sie setzen darauf, für vorab geleistete Arbeit am Ende des Monats Lohn zu erhalten. In Sachen Lebensunterhalt setzen Angestellte alles auf eine Karte: Ihr Arbeitgeber muss ausreichend erfolgreich wirtschaften, um Löhne zu zahlen. „Hochspekulativ“ urteilt man beim Roulette, wenn ein Spieler alles auf eine Zahl setzt.
Zugegeben, Arbeitnehmer haben mehr Einfluss aufs wirtschaftliche Ergebnis ihrer Firma als Spieler auf den Stopp des Roulette-Rads. Doch sie sitzen auch hier meist nicht am entscheidenden Hebel. Sie spekulieren, dass am Ende des Monats Lohn fließt.
Was heißt hier spekulieren?
Das deutsche Wort „Spekulation“ kommt vom lateinischen „speculatio“: Ausspähen, Auskundschaften, Betrachten. Das zugrundeliegende Substantiv „specula“ bedeutete Beobachtungsstelle, Warte, Höhe, aber auch Hoffnung.
Wer spekuliert, sieht also ursprünglich genau hin und hofft eventuell auf etwas. Den heutigen Sprachgebrauch fasst der Duden so zusammen: auf bloßen Annahmen, Mutmaßungen beruhende Erwartung.
In unserem Alltag hoffen, beobachten und mutmaßen wir ständig. Alltag lässt sich nur organisieren, indem wir Annahmen treffen. So gehen wir zum Beispiel davon aus, gesund genug zu bleiben, um vorab Bezahltes nutzen zu können.
Deswegen wagen wir es, eine Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr zu kaufen, ein Jahresabo fürs Theater abzuschließen und unserem Verein den Jahresbeitrag zu überweisen.
Wer sich unsicher ist, legt sich vielleicht nur für kürzere Zeiten fest. Doch kaum jemand spekuliert nie auf eine persönlich positive Zukunft. Das Gegenteil würde heißen, in den Tag hineinzuleben.
Eine „sichere Bank“?
Auch beim Sparen spekulieren wir: Und zwar bei so gut wie jedem Produkt. Bewusst wird uns das meist erst, wenn die Spekulation nicht aufgeht. Ein Beispiel: Die isländische Kaupthing Bank genoss das Vertrauen vieler ausländischer Sparer – bis zu ihrer Pleite 2008.
Auch zigtausende deutsche Sparer hatten die relativ hohen Guthabenzinsen auf Spar- und Tagesgeldkonten zur nordischen Bank gelockt. Nach isländischem Recht war ihr Vermögen bis 20.887 Euro abgesichert. Wer mehr angelegt hatte, erlitt nun einen Verlust.
Deutsche Banken unterliegen auf jeden Fall mindestens der gesetzlichen deutschen Einlagensicherung bis 100.000 Euro. Liegt mehr auf Konten eines Instituts, gibt es im Pleitefall keine Entschädigung. Und auch das deutsche System funktioniert nur, solange nicht mehrere Institute auf einmal in die Knie gehen.
Seit dem Jahr 2000 gingen in Deutschland 42 Finanzinstitute pleite beziehungsweise schlitterten an der Insolvenz vorbei. Die Commerzbank wurde durch staatliche Unterstützung gerettet, die Sparkasse Mannheim durch Fusion.
Verluste garantiert?
Die meisten deutschen Anleger empfinden Sichteinlagen als besonders sicher und nicht spekulativ. Dazu zählt das Kapital auf Giro‑, Spar- und Tagesgeldkonten. Hier wird Erspartes „auf Sicht“ angelegt und ist fast jederzeit verfügbar. Doch seit Jahren sind Guthabenzinsen für Sichteinlagen niedriger als die Inflation. Damit ist bei Sichteinlagen wie beim Sparstrumpf derzeit nur eines sicher: der Verlust. Denn nach Abzug der Teuerung liegt der reale Sparzins im Minus.
Fast 135 Milliarden Euro büßten deutsche Sparer wegen des negativen Realzinses seit Ende 2010 ein, errechnete die Commerzbank-Tochter Comdirect Anfang 2020. Jetzt drohen die Einbußen noch zu steigen, denn immer mehr Institute erheben sogenannte Verwahrentgelte, auch bekannt als Straf- oder Negativzinsen.
Eine neue Erscheinung sind Verluste auf Sichteinlagen nicht. In den vergangenen gut 100 Jahren haben Währungsreformen und Weltkriege genau diese Art „sicherer“ Geldanlagen mehrfach zusammenschmelzen lassen oder komplett vernichtet.
Langfristig verspekuliert?
Auch Anlagen, bei denen bei Abschluss des Vertrags Laufzeit und Höhe der Zinsen feststehen, gelten gemeinhin als sicher. Unter diesen Anlageformen sind Bauspar- und Prämiensparverträge besonders beliebt.
Doch Altverträge mit relativ hohen Zinszusagen werden inzwischen reihenweise gekündigt: vorneweg von Bausparkassen, Sparkassen, Volksbanken und Raiffeisenbanken. Alles Institute, die allgemein als besonders sicher gelten. Aber die Erwartung, dass langfristige Verträge eingehalten werden, hat sich für viele nicht erfüllt. Diese Prämien- und Bausparer haben sich „verspekuliert“, könnte man im Sinne des Duden übersetzen.
Geld anlegen ohne Risiko?
Wie lässt sich denn dann noch sicher sparen ohne zu spekulieren? Gar nicht. Denn jeder, der Geld anlegen will, muss Annahmen treffen und Risiken eingehen. Je weiter das Ziel des Sparens in der Ferne liegt, desto mehr Annahmen sind notwendig. Nur so lässt sich etwa schon in jungen Jahren fürs Alter vorsorgen. Doch es lässt sich nicht alles vorplanen und absehen.
Ein Ausweg aus dem Dilemma bieten Sparformen, aus denen sich Ersparnisse relativ leicht und rasch zurückholen lassen. Und das sind nicht nur Sichteinlagen. So sind zum Beispiel viele Wertpapiere, die an der Börse gehandelt werden, an jedem Handelstag „börsentäglich“ zu kaufen und zu verkaufen.
Finanzprofis wie Vermögensverwalter halten ausgerechnet jenen Sachwert, den viele Kleinanleger als „zu spekulativ“ zurückweisen, für relativ sicher: die Aktie. Diese Serie erklärt, warum. Sie nennt Chancen und Risiken typischer Börseninvestments wie Aktien, Anleihen und Fonds und gibt Anlegerinnen Tipps, wie sie an der Börse die Chance auf höhere Erträge für sich nutzen können.
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