Anke Fischer (50) arbeitet als Senior Marketing Managerin in Vollzeit. In der Freizeit hilft sie Nyadeng Dut (50). Vor zwei Jahren war sie aus dem Südsudan nach Deutschland geflohen, der Ehemann starb im Bürgerkrieg. Vier ihrer Kinder blieben zurück in Ägypten. Nur einer Tochter und ihren beiden Enkeln gelang ebenfalls die Flucht nach München.
Von Sylvia Petersen
Frau Fischer, warum haben Sie sich für eine Patenschaft entschieden?
Anke Fischer: Mich hat das Thema „Flüchtlinge“ schon lange beschäftigt. Ich stelle es mir unsagbar schwer vor, Hab und Gut zu verlieren und in einer mir völlig fremden Welt noch einmal bei null anfangen zu müssen.
Man sieht täglich die Bilder in der „Tagesschau“ – und ich habe mich gefragt: Welchen Beitrag könnte ich leisten? Ich habe daraufhin einfach mal „Flüchtlinge – Hilfe – München“ bei Google eingegeben und bin so auf den Verein „Save Me“ gestoßen, der Patenschaften vermittelt.
Wie war das Prozedere?
Ich hatte das Gefühl, dass man sehr darauf bedacht ist, einen passenden Match für einen zu finden – auch wenn ich selbst das nicht für wichtig erachte. Mir kommt es nicht darauf an, wie sympathisch oder unsympathisch mir jemand ist – wenn mich jemand braucht, helfe ich.
Wann haben Sie die Patenschaft übernommen?
Ich habe mich im Juni vergangenen Jahres das erste Mal mit Nyadeng getroffen. Sie hatte ihre erwachsene Tochter mitgebracht und sich anfangs hinter ihr versteckt, Nyadeng war die ganze Situation sichtlich suspekt. Davon ist jetzt aber nichts mehr zu spüren.
Wo und wie oft treffen Sie sich?
Wir sehen uns normalerweise einmal in der Woche für zwei Stunden. Meistens werden aber drei bis vier Stunden draus. Wir treffen uns entweder in einem Café oder bei mir. Letzteres hat den Vorteil, dass wir dann Internet haben und bei Bedarf online etwas nachschauen können.
Wie klappt’s mit der Verständigung?
Nyadeng spricht nur sehr wenig Deutsch. Ich übe mit ihr, aber die meiste Zeit nehmen Anträge und Formulare in Anspruch.
Wobei unterstützen Sie Nyadeng?
Aktuell helfe ich ihr bei der Wohnungssuche. Im Flüchtlingsheim hat Nyadeng ein kleines Zimmer von zwölf Quadratmetern. Das ist auf die Dauer kein Zustand.
Helfen Sie auch bei der Jobsuche?
Wir haben zusammen einen Lebenslauf geschrieben. Für Nyadeng war das anfangs schwer zu verstehen. Sie fragte mich: „Warum brauche ich so etwas?“ Ich habe ihr erklärt, wie man sich in Deutschland für einen Job bewirbt und welche Regeln es dabei zu beachten gilt.
Sie arbeiten Vollzeit. Wird Ihnen das Ehrenamt mitunter auch mal zu viel?
Nein, nicht wirklich. Klar ist auch viel Frust dabei, wenn ich Anträge vom Amt zurückbekomme, weil wieder irgendetwas fehlte oder Nyadeng ein Formular nicht finden kann. Dann schaut sie mich an und fragt: „Ich habe so viele Unterlagen – warum brauche ich jetzt diesen einen Schein?“
Mir ist erst durchs Ehrenamt bewusst geworden, wie viel Bürokratie wir in Deutschland tatsächlich haben. Wenn ich es nicht durchschaue – wie soll es denn jemand schaffen, der die Sprache nicht versteht?
Gab es auch schon Erfolgserlebnisse?
Ja, durchaus. Nyadeng ist genauso alt wie ich, aber ein digitaler Neuling. Ich habe ihr einen Laptop organisiert und den Umgang damit gezeigt. Sie war immens stolz, als sie ihre erste E‑Mail an ihre Tochter verschickt hat. Bis zum nächsten Treffen vergisst Nyadeng zwar auch wieder viel von dem Erlernten, aber dann fängt man eben nochmal von vorn an.
Es bedarf also viel Geduld?
Natürlich bin ich auch schon mal genervt, wenn ich nach der Arbeit zum Treffen jette und Nyadeng nicht alles dabeihat. Das aber verfliegt im Nu, wenn ich mir ihre Situation bewusst mache. Nyadeng hat fast ihr ganzes Leben in einem Dorf gelebt, ihr Mann hat das Essen nach Hause gebraucht. Dann kommt sie in ein Hightech-Land wie Deutschland, noch dazu in eine Großstadt – das ist eine enorme Herausforderung für sie.
Welches Fazit ziehen Sie nach diesen ersten Monaten des Ehrenamts?
Es ist schön, zu helfen und Verantwortung zu übernehmen. Nyadeng und ich sind zwar beide 50 Jahre alt, aber wir stehen an völlig unterschiedlichen Punkten im Leben. Ich fiebere mit ihr mit und hoffe sehr, dass wir bald eine Wohnung für sie finden.
Wie lange geht die Patenschaft?
Sie ist auf mindestens 12 Monate angelegt. Ich kann mir gut vorstellen, auch danach noch für Nyadeng da zu sein, wenn sie mich braucht. Über so einen langen Zeitraum entsteht ja eine Bindung. Ich war auch schon zum Geburtstag ihres Enkels eingeladen. Ich würde auch eine zweite Patenschaft übernehmen, aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt, denn zwei auf einmal wird dann doch etwas viel – ich brauche ja auch Zeit für mich.
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