„Was wir nicht kennen, macht uns einfach Angst“. Apothekerin Margarita Voskanian spricht mit uns über ihren Beruf und die optimale Prävention in der Corona-Krise.
Margarita Voskanian hat Pharmazie studiert und ist Apothekerin. Eines ihrer großen Interessen ist die Virologie. Eine Apothekerin erhält nach ihrem dritten Staatsexamen die Zulassung, Arzneimittel an Patienten auszuhändigen und eine eigene Apotheke zu führen, so auch Margarita. Doch nur das konnte sie sich nicht vorstellen, sie wollte mehr.
Von Jen Gontovos
Jetzt ist Margarita Voskanian als stellvertretende sachkundige Person für die GHD Compounding Berlin tätig. Die GHD Compounding Berlin stellt im Auftrag von Apotheken individuelle Zubereitungen her. Zum Beispiel für krebskranke Menschen, denen Nahrung durch die Venen verabreicht werden muss.
Die Frau für den letzten Check
Was Margarita nun genau macht? Sie entscheidet, ob die produzierte Arzneimittelzubereitung an den Patienten abgegeben werden kann. Sie kontrolliert, ob die Zubereitungen alle Anforderungen erfüllen. Sprich, ist das Arzneimittel wirksam, sicher und unbedenklich für den Patienten.
Zudem hat Margarita erst kürzlich ihre Dissertation an der FU Berlin eingereicht, für die sie am Robert Koch-Institut geforscht hat.
Sie ist fasziniert von der Entstehung und Entwicklung von Viren. So hat sie an den Pathogenese-Mechanismen von verschiedenen Orthopockenviren geforscht. Die humanpathogenen Variolaviren beispielsweise, konnten Ende der 70er-Jahre durch einen Impfstoff bekämpft werden. Die Übertragung dieser Pockenviren ging nur von Mensch zu Mensch, so konnten sie schneller ausgerottet werden.
Derzeit werden zunehmend zoonotische Infektionen zum Beispiel mit Kuhpockenviren aus verschiedenen Regionen gemeldet. Zoonotische Viren sind Viren, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden. COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV‑2) wurde vermutlich erstmals vom Tier auf den Menschen übertragen und könnte somit ein zoonotisches Virus sein.
Weil die Corona-Krise auf der ganzen Welt allgegenwärtig ist, haben wir Margarita zu diesem Thema einige Fragen gestellt. Sie führt uns nochmals den Unterschied von Viren und Bakterien vor Augen.
Unterschied von Bakterien und Viren
Margarita, verraten Sie uns verständlich den Unterschied von Bakterien und Viren?
Zunächst einmal möchte ich auf die Bakterien eingehen. Hier gibt es zum einen die Bakterien, die wir als Menschen selbst tragen und zum anderen fremde Bakterien, die die Infektionen auslösen können.
Unsere körpereigenen Bakterien bilden eine schützende Mikroflora wie unsere Darm- und Hautflora. Diese sind essenziell, um unsere Haut oder unseren Darm vor Erregern zu schützen, oder sind Bestandteil unseres Verdauungssystems.
Im Gegensatz zu Bakterien haben wir keine körpereigenen Viren. Bakterien sind Mikroorganismen. Organismen haben ihren eigenen Stoffwechsel und sind nicht auf den Stoffwechsel ihres Wirts angewiesen. Sie können sich selbstständig vermehren und wachsen.
Viren dagegen haben keinen eigenen Stoffwechsel. Sie sind infektiöse Strukturen, die aus Proteinen, Fettsäuren, Kohlenhydraten und ihrem Erbgut bestehen. Im Erbgut tragen Viren die Stamminformationen in Form von DNA (Herpesviren) oder RNA (SARS-CoV‑2). DNA-Viren sind stabiler als RNA-Viren und verändern ihr Erbgut eher selten.
Viren können sich nur vermehren, wenn sie ein Lebewesen infizieren. Sie haben keinen positiven Einfluss auf ihren Wirt. Wenn Viren mutieren, werden bestimmte Gene im Erbgut verändert und die Viren könnten pathogener werden.
Aktuelle Lage
Wie schätzen Sie die aktuelle Krisenlage zum Thema COVID-19 ein?
Wir wissen, dass Infektionen mit COVID-19 bei älteren und immungeschwächten Personen schwerwiegend bis letal, also tödlich, verlaufen können. Sie haben nicht die Kraft oder Möglichkeit, gegen das Virus anzukämpfen. Allein das ist ein Grund, achtsamer zu sein.
Wenn wir jetzt auf die empfohlenen Verhaltensweisen und Hygienemaßnahmen achten und Rücksicht nehmen, könnten Neuinfektionen zunächst gestoppt werden. Dies wäre schon mal eine Entlastung für die Krankenhäuser und das medizinische Personal. Und andererseits haben die Forschungseinrichtungen die Möglichkeit, die Virusart besser kennenzulernen.
Wie stehen Sie zu den strengen Ausgangsbeschränkungen bzw. Ausgangssperre? Menschen brauchen Licht, frische Luft und Bewegung, besonders Kinder und alte Menschen.
Solange es Menschen gibt, die Corona-Partys auf Kosten von anderen feiern, finde ich eine Ausgangssperre bzw. strenge Ausgangsbeschränkungen gerechtfertigt. Ich bin auch ein Mensch, der frische Luft und Bewegung braucht. Allerdings müssen wir genau jetzt darüber nachdenken, wie hoch das Risiko ist. Und was wir machen können, um es zu minimieren.
Wenn das heißt, eine Ausgangssperre bzw. strenge Ausgangsbeschränkungen zu erteilen, um das Risiko zu minimieren und die Sicherheit zu erhöhen, finde ich es gerechtfertigt. Außerdem heißt es aktuell nicht, wir dürfen überhaupt nicht raus. Es bedeutet viel mehr, dass Gruppenversammlungen vermieden werden, da das Virus hochansteckend ist.
Wie sinnvoll ist ein Impfstoff gegen COVID-19?
Natürlich ist es sinnvoll einen Impfstoff zu haben. Wir wissen leider noch viel zu wenig über das Virus. Es stehen auch Fragen im Raum, ob COVID-19 ein saisonales Virus sein wird, wie die Influenzaviren. Oder welche weiteren Auswirkungen das Virus noch haben könnte.
In China gab es angeblich einen Fall, in dem sich eine Frau zweimal mit COVID-19 infiziert haben soll – ist dies möglich?
In einer Tierstudie mit Rhesusaffen wurde nachgewiesen, dass die Tiere nach der Erstinfektion bereits eine Immunität gegen COVID-19 entwickelten. Auch wurden keine Symptome bei einer Neuinfektion aufgewiesen. Die Frau, die sich angeblich innerhalb kürzester Zeit zweimal mit dem Coronavirus infiziert haben soll, könnte fälschlicherweise negativ auf das Virus getestet worden sein. Vielleicht, weil während der Probenahme, der Probenaufbereitung oder des Testlaufs ein Fehler gemacht wurde.
Kommen in letzter Zeit verstärkt Menschen, um sich mit Medikamenten einzudecken? Gibt es bei Arzneimitteln eine Höchstanzahl oder liegt die Ausgabe im Ermessen des Apothekers?
Klar weiß man, dass Desinfektionsmittel eingekauft wurden. Bei Arzneimitteln müssen Apotheker auf die ausgegebene Anzahl achten. Der Apotheker müsste reagieren und beispielsweise keine fünf Packungen Ibuprofen ausgeben.
Der Apotheker muss beraten. Er kennt die Neben- und Wechselwirkungen der Arzneimittel. Und natürlich muss er sich auch fragen, wozu der Kunde fünf Packungen eines Medikaments benötigt. Selbst bei einem Nasenspray sollte der Apotheker nicht mehr als eine Packung herausgeben.
Werden Medikamente in den kommenden Tagen und Wochen knapp werden? Viele Medikamente werden beispielsweise in China produziert.
Es gibt bisher keine Informationen über mögliche Lieferengpässe. Die meisten Arzneimittel wie Antibiotika werden allerdings aus China importiert und hier vermarktet. Vor allem in der jetzigen Situation wäre ein Aufnahmestopp von Arzneimitteln aus China fatal.
Die Infektionen mit Coronaviren können die Entstehung von Pneumonien fördern. Das sind akute oder chronisch verlaufende Entzündungen des Lungengewebes. Und genau hier benötigen wir Antibiotika.
Welche Medikamente sollte man aus Ihrer Sicht jetzt für den Notfall zu Hause haben?
Das Coronavirus kann noch mit keinem Arzneimittel vernichtet werden. Wir können nur auf die Symptome eingehen. Die Infektion mit COVID-19 kann Fieber auslösen. Wenn das Fieber hoch ist, können wir fiebersenkende Mittel wie Paracetamol oder Ibuprofen einnehmen.
Dann gibt es den trockenen Reizhusten. Der Reizhusten tritt auf, weil sich die Viren im Rachenraum vermehren. Der Husten ist in diesem Sinne ein Schutzmechanismus. Wir sollten ausreichend trinken und den Rachenraum feucht halten.
Ibuprofen im Zusammenhang mit Corona
Wie sehen Sie die Diskussion um Ibuprofen im Zusammenhang mit Corona? Welche Webseiten können wir als vertrauenswürdig erachten?
Ein negativer Zusammenhang von Corona und Ibuprofen ist mir nicht bekannt. Es gibt auch derzeit keinerlei Anhaltspunkte, die das bekräftigen würden. Arzneimittel, die allerdings einen Einfluss auf den Verlauf der Corona-Infektion haben, sind Immunsuppressiva. Sie geben dem Virus die Möglichkeit, sich zu vermehren.
Immunsuppressiva sind Substanzen, die die Funktionen des Immunsystems schwächen bzw. hemmen, wie Cortisol. Die Patienten könnten somit anfälliger für die Infektionen sein.
Asthmapatienten sind beispielsweise anfälliger für das Coronavirus. Das Problem bei Asthma ist, dass sich die Bronchien während des Anfalls verengen. Die Atmung wird dadurch erschwert. Viele Asthmapatienten sind dazu noch auf inhalative Glucocorticoide angewiesen, die das Immunsystem schwächen. Eine Infektion mit COVID-19 könnte schwerwiegende Verläufe bei diesen Patienten haben.
Prinzipiell würde ich empfehlen, die Seiten des Robert Koch-Instituts, des Bundesgesundheitsministeriums und der WHO aufzurufen. So ist man auf der sicheren Seite.
Maßnahmen im Schutz gegen das Coronavirus
Welche Maßnahmen bringen aus Ihrer Sicht etwas bzw. bringen Gesichtsmasken oder Gummihandschuhe überhaupt etwas?
Gesichtsmasken sind nicht verkehrt, um sich zu schützen. Allerdings muss man wissen, welche Arten von Masken sinnvoll sind und wie lange sie wirksam sind. OP-Masken zum Beispiel verlieren nach einer gewissen Zeit ihre Wirkung. Die FFP-Masken sind effektiver.
Handschuhe schützen zwar vor dem direkten Hautkontakt mit dem Coronavirus. Jedoch kann das Virus auf dem Handschuh verbleiben und weiter übertragen werden. Und wenn man sich mit diesem im Gesicht berührt, werden auch hier die Viren weitergegeben. Zudem wird der Handschuh oft falsch ausgezogen.
Überleben die Coronaviren überhaupt auf künstlichen Oberflächen?
Es wird gerade überprüft, auf welchen Oberflächen die Viren wie lange überleben und Bestand haben. Wir wissen bereits, dass die COVID-19-Viren auf metallischen Oberflächen bis zu 72 Stunden überleben können. Somit könnte man sich allein schon durch das Festhalten an der Bus- oder U‑Bahnstange infizieren. Das Gleiche gilt für Spielplätze mit Rutschen und Schaukeln.
Welche Maßnahme ist für Sie die sinnvollste im Schutz gegen das Coronavirus?
Vor allem die hygienischen Maßnahmen, speziell das Händewaschen. Was bedeutet, nicht einfach ein bisschen die Seife auf der Hand zu verreiben, sondern die Finger, Fingerkuppen, die Fingerzwischenräume und die Handrücken ordentlich einzuseifen und mindestens 30 Sekunden einwirken zu lassen. Anschließend die Hände gut abspülen und abtrocknen.
In der Regel reicht das. Aber wenn man auf Nummer sicher gehen möchte, kann man die Hände anschließend desinfizieren. Auch hier darf keine Region an den Händen ausgespart werden.
Warum dauert es so lange, eine Infektion mit COVID-19 nachzuweisen und was passiert eigentlich bei einem Test?
Der Test dauert ein bis zwei Tage. Das liegt daran, dass der Test mehrere Schritte beinhaltet. Zuerst wird die Probe entnommen und anschließend an ein Labor geschickt. Hier wird die Probe mit sogenannten PCRs untersucht. Das sind Polymerase-Kettenreaktionen. Dazu wird ein spezieller Reaktionsmix angesetzt und mit der aufbereiteten Probe versetzt.
Wenn das virale Erbgut in der Probe vorhanden ist, wird ein spezifisches Gen vervielfältigt. Dies löst danach ein Signal aus. All diese Schritte benötigen Zeit und jeder Schritt ist wichtig. Wenn die Proben-Präparation verfälscht wird, kann es zu falschen Ergebnissen kommen. Natürlich probiert man, die Methode so kurz wie möglich, aber auch so lange wie notwendig zu halten.
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