„In mehr als 155 Ländern gibt es Gesetze, die Frauen benachteiligen oder diskriminieren.“ Karin Nordmeyer ist eine Kämpferin. Als Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins UN Women engagiert sie sich seit vielen Jahren für die Menschen- und Frauenrechte. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen haben wir mit Karin Nordmeyer über das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern anhand des Gender Pay Gap und Pension Gap gesprochen.
Von Jeniffer Gontovos
Armut von Frauen ist ein Thema, mit dem du dich auch viel beschäftigst. Was bedeutet Gender Pension Gap genau?
Karin Nordmeyer: Frauen bekommen noch immer 21 Prozent weniger Gehalt als Männer – und das bei gleichwertiger Arbeit. Diese Entgeltungleichheit und die Tatsache, dass Frauen, wenn sie ein Kind bekommen, länger zur Kinderbetreuung zuhause bleiben als der Mann, führen dazu, dass auch die Renten sehr unterschiedlich ausfallen.
Frauen unterbrechen ihren Job häufiger und länger, arbeiten im Durchschnitt weniger Stunden pro Woche zu niedrigeren Gehältern und sind häufiger in nicht sozialversicherungspflichtigen (Mini-)Jobs beschäftigt. Aufgrund der Ausrichtung des Alterssicherungssystems auf abhängige Erwerbstätigkeit haben Frauen daher eine deutlich geringere Rente als Männer.
Welche signifikanten Unterschiede gibt es hier?
Der Gender Pension Gap in Deutschland liegt bei 59,6 Prozent. Das heißt, in Deutschland beziehen Frauen ein um 59,6 Prozent geringeres Alterssicherungseinkommen als Männer.
Was kann man dagegen unternehmen?
Aus meiner Sicht bedarf es der Entwicklung einer Lebenslaufpolitik, die für Frauen und Männer gleichermaßen geeignete Rahmenbedingungen zur gelingenden Gestaltung beruflicher Ein- und Ausstiege und zur Wahrnehmung wechselnder Aufgaben in Familie und Beruf schafft. Die Politik und auch die Wirtschaft sind hier dringend gefordert, Frauen und Müttern dieselben Verwirklichungschancen zu ermöglichen wie Männern.
Was kann ich persönlich machen, um als Frau mehr zu verdienen?
Während es sich beim Gender Pay Gap zwar um ein systemisches und gesamtgesellschaftliches Problem handelt, ist man als Frau nicht handlungsunfähig. Ein guter Schritt ist es, in Gehaltsverhandlungen zu gehen. Viele Frauen trauen sich nicht, nach einer Gehaltserhöhung zu fragen, weil sie denken, diese stehe ihnen nicht zu oder sie kämen damit nicht gut an. Das Recht steht hier jedoch hinter den Frauen (Entgelttransparenzgesetz).
Um im eigenen Berufsumfeld Lohngerechtigkeit einzufordern, ist daher die Gehaltsverhandlung und der Vergleich zu Kollegen eine gute Handlungsmöglichkeit.
Zudem sollten verheiratete Frauen darauf achten, dass sie durch die Wahl der Steuerklassen der Ehepartner die Gehaltslage beeinflussen können. Denn solange wir das Ehegattensplitting in Deutschland praktizieren ist die Wahl der Steuerklasse ein wichtiges Element zu mehr Gerechtigkeit.
Wie beeinflusst der Pension Gap die Altersarmut bei Frauen?
Der Pension Gap trägt direkt zur Altersarmut bei Frauen bei. Frauen bekommen unter anderem durch durchschnittlich geringere Gehälter und längere Phasen der Teilzeitarbeit oder Berufspausen niedrigere Renten. Hinzu kommt, dass Frauen in der Regel geringeres Eigenkapital besitzen als Männer. Niedrige staatliche Renten, kombiniert mit geringeren eigenen Rücklagen und einem durchschnittlich längeren Leben führen zu Altersarmut bei Frauen.
Was sind die Risiken von Altersarmut?
Je nach Ausprägung der Altersarmut können Frauen sich oft kaum oder gar nicht selbstständig finanzieren. Das kann dazu führen, dass sie selbst im hohen Alter noch unfreiwillig berufstätig sind, sich verschulden oder finanziell von anderen Personen abhängig sind.
Altersarmut hat jedoch auch soziale, psychologische und medizinische Auswirkungen. Dazu zählen weniger oder kein Geld für Medikamente und seniorengerechte Pflege/ Einrichtungen, sozialer Rückzug und Vereinsamung und kein oder wenig Geld für Freizeitaktivitäten. Da Armut generell mit chronischen Erkrankungen, geringerer Lebensqualität und psychologischen Problemen korreliert, sind die Risiken von Altersarmut vielseitig und groß.
Wie könnte man Frauen im Alter mehr unterstützen?
Die Politik hat viele ältere Frauen im Stich gelassen. Für sie wird es schwierig sein, die systemische Benachteiligung, die sie ihr Leben lang erfahren haben, im Alter noch auszugleichen.
Daher sollten Politiker*innen und wirtschaftliche Akteur*innen sich möglichst schnell mit dieser Problematik auseinandersetzen – vor allem im Hinblick auf den demografischen Wandel, der sich in Deutschland abzeichnet. Auch wenn es schwierig wird, die Altersarmut älterer Frauen jetzt noch weitgehend abzuwenden, könnte man diesen Ausblick für die jüngeren Generationen von Frauen vermeiden.
Was kann ich persönlich machen, um der Altersarmut zu entfliehen?
Den größten positiven Effekt zur Bekämpfung von Altersarmut hätten Reformen im Rentengesetz und die Bekämpfung des Pay Gaps. Der Wandel muss aus der Politik und Wirtschaft kommen, aber auch ein gesellschaftliches Umdenken muss stattfinden.
Die Verantwortung auf einzelne Frauen zu schieben, ist hier fehl am Platz. Trotzdem haben Frauen natürlich einen gewissen Handlungsspielraum, um die Folgen des Gender Pension Gaps abzufedern.
Wir können nur empfehlen, sich frühzeitig mit der Altersvorsorge zu beschäftigen, sich aktiv an finanziellen Entscheidungen des Haushalts zu beteiligen. Wenn möglich sollte man als Frau versuchen auch im Berufsleben tätig zu bleiben, wenn Kinder geboren werden und die Wahl der Steuerklasse beeinflussen. Im Beruf sollte auf eine faire Bezahlung bestanden werden und Gespartes so investiert werden, dass man nicht ausschließlich von einer staatlichen Rente abhängig ist.
Leider sind diese Ratschläge nicht für alle Frauen umsetzbar. Daher kann es von großer Hilfe sein, in seinem eigenen Umfeld das Thema Altersvorsorge mit Freund*innen und Bekannten zu besprechen und Know-how zu teilen.
Der Gender Care Gap wird nun auch immer lauter – Was bedeutet Gender Care Gap und wie hängt dieser mit der Altersarmut und dem Gender Pay Gap zusammen?
Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit und/oder Ehrenamt: Frauen wenden pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Dieser Unterschied wird als „Gender Care Gap“ bezeichnet.
Wie reagieren männliche Gesprächspartner auf UN Women, den Gender Pay Gap, den Gender Care Gap und die Altersarmut bei Frauen?
Männer sind sehr erstaunt über diese traurige Realität. Es wird einfach davon ausgegangen, dass wir in Deutschland schon recht weit seien, was das Thema der Gleichberechtigung betrifft. Dann zu lernen, dass Frauen fast 60 Prozent weniger Rente bekommen, schockt viele Männer und auch Frauen.
Vor allem bei jungen Männern führt das jedoch zu einem Handlungsdrang, den wir zum Beispiel in unserer HeForShe-Bewegung bemerken. Hier können Männer sich mit Frauen solidarisieren und sich öffentlich dazu bekennen, sich gegen die Diskriminierung von Frauen einzusetzen.
Viele der Männer, mit denen wir in Kontakt kommen, bringen jedoch bereits ein gewisses Interesse an frauenrechtlicher Arbeit mit.
Welche persönlichen Fehler machen Frauen in diesem Zusammenhang, die sie eigentlich vermeiden könnten oder sollten?
Ich finde ich es schwierig, von „persönlichen Fehlern“ zu sprechen, da weder der Pay Gap noch der Pension Gap eine Folge von persönlichen Fehlentscheidungen von Frauen ist. Es ist vielmehr das Resultat eines größeren, gesellschaftlich noch nicht bewältigten Problems.
Frauen werden zu oft aus finanziellen Entscheidungen ausgeschlossen und zudem wird in ihrer Sozialisierung effektives Wirtschaften viel zu selten als lebenswichtiges Wissen thematisiert. So entsteht bei vielen Frauen das Gefühl, sich in „Finanzdingen“ nicht genügend auszukennen und von Problemen überwältigt zu werden. Das führt leicht dazu, das Thema finanzielle Absicherung und Altersvorsorge zu verdrängen.
Ich kann jeder Frau nur dringend ans Herz legen, sich früh und intensiv mit dem Thema Finanzen, Rente und Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Das ermöglicht Selbstbestimmung, Emanzipation und bewusste Entscheidungen, die sich im Alter als nützlich erweisen werden. Ein selbstbestimmtes und auch finanziell gesichertes Alter ist ein erstrebenswertes Ziel.
Wo kann ich mir Hilfe und Beratung suchen?
Im Internet gibt es einige Seiten, die hilfreiche Informationen rund um den Gender Pension und Pay Gap liefern. Dazu gehört unter anderem die Website des BMFSFJs und die Seite „Was verdient die Frau“. Es gibt auch andere gute Ressourcen zur finanziellen Unabhängigkeit und Aufklärung, wie beispielsweise den Podcast von Madame Moneypenny.
Über UN Women:
UN Women ist die weltweite Einheit der Vereinten Nationen, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung von Frauenrechten einsetzt. UN Women kämpft weltweit dafür, dass Frauen ein Leben frei von Armut, Gewalt und Diskriminierung führen können.
Noch immer hat kein einziges Land dieser Welt die Gleichstellung der Geschlechter erreicht. Und noch immer gibt es in mehr als 155 Ländern Gesetze, die Frauen benachteiligen oder diskriminieren. UN Women arbeitet deshalb auf zwei Ebenen: Gemeinsam mit Regierungen wird dafür gekämpft, frauendiskriminierende Praktiken und Gesetze abzuschaffen.
Mit Partner*innen „on the ground“ arbeitet UN Women in konkreten Projekten in mehr als 76 Ländern daran, Gewalt gegen Frauen zu beenden und Frauen wirtschaftlich zu stärken. UN Women Deutschland ist eines von zwölf Nationalen Komitees, welche die Arbeit von UN Women auf Länderebene durch Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising unterstützen.
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