Mit fast 60 Jahren begann Beate Sander zu investieren. Sie wurde mit ihrer Anlagestrategie Börsenmillionärin und Vorbild für zehntausende Anlegerinnen. Am 28. September 2020 ist Beate Sander nach langer schwerer Krebserkrankung gestorben. Kurz vor ihrem Tod haben wir nochmal mit ihr gesprochen. Das Interview wird in der kommenden Ausgabe von Courage (Erscheiungstag 22. Oktober) erscheinen.
Beate Sander hat sich das Gespräch ausdrücklich gewünscht, weil sie noch einmal darauf aufmerksam machen wollte, wie wichtig es ist vorzusorgen – nicht nur in Sachen finanzieller Absicherung, sondern auch im Hinblick auf den Tod. Ohne „zu jammern und zu jaulen“ wolle sie sich dem Unausweichlichen stellen, erzählte uns die resolute Ulmerin – wissend, dass ihr nur noch wenige Tage bleiben, und dankbar für das viele Schöne, was sie gerade in den letzten Jahren noch erleben durfte.
Wir durften im vergangenen Dezember ihren 82. Geburtstag mit der Powerfrau verbringen und ahnten damals nicht, dass dies ihr letzter Geburtstag sein wird. Sehr viele vor allem junge Frauen haben in ihr ein Vorbild gefunden – als Investorin, aber auch als Mensch: Sie hat gezeigt, dass es niemals zu spät ist, Neues zu lernen, dass Mut sich auszahlt und dass Wissen Früchte trägt, wenn man es teilt. In diesem Sinne möchten wir an dieser Stelle auf ihren letzten Geburtstag zurückblicken — und das Leben einer bemerkenswerten Frau, die durch ihren Ehrgeiz, ihre Hartnäckigkeit und ihre Leidenschaft beeindruckt hat. Wir werden Beate Sander vermissen.
Von Daniela Meyer und Astrid Zehbe
Der ovale Holztisch im Esszimmer ist perfekt gedeckt. Seegrassets, darauf Porzellan mit blauen Blümchen. Ein Klassiker. Wir tragen Frotteepantoffeln, die Beate Sander für Gäste bereit hält, und haben auf der Eckbank Platz genommen. Durch die Durchreiche können wir die renommierte Börsenexpertin in ihrer winzigen Küche hantieren sehen. „Ich backe nur schnell die Brezeln auf“, ruft sie uns zu.

Quelle: Marcus Witte
Wir würden auch helfen, dürfen aber nicht. Das hat Frau Sander gleich klar gemacht, als wir zur Tür ihres Reihenhäuschens hereinspazierten – auf ihre freundlich-resolute Art, der man lieber nicht widerspricht. Vor allem nicht heute, an ihrem 82. Geburtstag. „Ich mache kein Brimborium um meinen Jubeltag“, sagt sie schlicht.
Über die Blumen und Anrufe, die sie über den Tag verteilt bekommt, freut sie sich dann aber doch. Besonders über den ihres Bankers gleich früh am Morgen. „Ich habe die zwei Millionen geknackt“, verkündet sie, während sie Käse- und Wurstplatte hereinträgt. „Seit heute habe ich zwei Millionen Euro im Depot. Alles mit Aktien verdient.“ Sie strahlt, während sie sich auf den Stuhl uns gegenüber setzt.
Investorin mit Leidenschaft
Rund 120 Einzeltitel hat die als „Börsenoma“ („Bild“) berühmte Rentnerin im Depot. In alphabetischer Reihenfolge kann sie alle aufzählen – inklusive Kaufpreis und aktuellem Kurs. Zuweilen liefert sie noch eine Geschichte, wie sie die Aktie entdeckt hat. Beim Softwarehersteller Nemetschek lernte sie den Gründer kurz nach dem Börsengang kennen. „Ich fand das Geschäftsmodell so klasse, dass ich da sehr früh eingestiegen bin“, erzählt sie. Der Wert der Aktie hat sich mittlerweile mehr als verzehnfacht.
Einhörner nennt Beate Sander die Perlen in ihrem Depot. Darunter versteht sie Firmen, die es schaffen, herausragende Alleinstellungsmerkmale auszubilden und sich dann zu Kursraketen entwickeln. Varta, Sartorius oder Bechtle gehören dazu. Vom deutschen Traditionshaus über ausländische Techkonzerne bis hin zu abseitigen Werten ist ihr Portfolio breit aufgestellt.
Ein Schrank voll mit Pokalen
Für ihre erste Börsenmillion brauchte sie 15 Jahre, für die zweite nur noch knapp sieben. Mit fast 60 Jahren hatte sie angefangen zu investieren – vornehmlich in Aktien. Wenn Beate Sander Titel kauft, dann nur von Firmen, deren Strategie sie versteht und an deren Innovationskraft sie glaubt. Das ist ihr Grundsatz. Zudem verfolgt sie die von ihr entwickelte Hoch- Tief-Mut-Strategie.

Quelle: Astrid Zehbe
An diesem Morgen ist sie bereits um 3.30 Uhr aufgestanden, eine halbe Stunde früher als sonst – um in Ruhe Zeitung zu lesen und die Börsenkurse am PC zu checken. Das macht sie täglich mehrmals. Die Zeit dazu muss sie sich nehmen, denn Frau Sanders Kalender ist voll, wie der einer Topmanagerin. Mehrmals die Woche gibt sie Börsenkurse an der Volkshochschule oder für Privatpersonen.
Sie schreibt Zeitungskolumnen und erfolgreiche Börsenratgeber. Mittagsschlaf hält sie nie. Reisen, wie sie andere Menschen ihres Alters gern machen, sind für sie Zeitverschwendung. Die Börse ist für die pensionierte Lehrerin, die früher auch Schulbücher verfasste, spannendes Hobby und knallhartes Business, die Weitergabe ihres Wissens eine Passion.
Bodenständigkeit trotz Millionen-Depot
Von ihrem Geld gibt sie kaum etwas aus. Sie hat noch immer die gleichen Möbel, die sie bereits in den 1950er-Jahren mit ihrem Mann gekauft hat. Irgendwann, wenn sie nicht mehr allein zurechtkommt, will sie sich gute Pflege leisten. Alles, was am Ende übrig bleibt, erben Kinder und Enkel.
So viel über ihre Börsenexpertise bekannt ist, so wenig weiß man über das Privatleben dieser bemerkenswerten Frau, die mit über 80 Jahren mehr Zielstrebigkeit an den Tag legt, als die meisten 20-Jährigen. Obwohl sie bereits mehrere Krebserkrankungen hinter sich hat und an Schmerzen im Bein leidet, jammert sie nie.

Quelle: Marcus Witte
Im Keller hat sie sich einen Sportraum eingerichtet, in dem sie täglich trainiert. An Seilen, die an der Decke hängen, macht sie Kraftübungen, mit einem Tennisball trainiert sie ihre Reflexe. Verfehlt sie einen Ball, verordnet sie sich Strafrunden. Ihr Leben lang treibt sie schon Sport: Hallen- und Feldhockey, Tischtennis, Tennis, Boxen – teils auf professionellem Niveau.
Ein Schrank im Wohnzimmer steht voll mit der Hälfte aller Pokale, die sie in ihrem Leben gewonnen hat. Die andere Hälfte musste sie aus Platzgründen entsorgen. „Meinen Kindern habe ich geraten, sich eine Sportart zu suchen, die ich nicht mache. Denn Konkurrenz zwischen Eltern und Kindern ist schlecht für die Beziehung“, sagt sie.
Erfolg dank Ehrgeiz
Konkurrenz zwischen Ehepartnern kann derweil sehr amüsant sein. 23 Jahre alt war Beate Sander, als sie im Sommer auf einem Campingplatz gegen ihren Mann im Tischtennis verlor. Eine Niederlage, über die viele andere Menschen nicht weiter nachgedacht hätten. Nicht so Beate Sander.
Sie machte einen Deal: Genau ein Jahr später würde sie wieder gegen ihren Gatten antreten. Der Gewinner des Matches müsste dem anderen eine Joola-Platte – den Ferrari unter den Tischtennisplatten – kaufen. „Ich habe mich sofort im Verein angemeldet und geübt, geübt, geübt“, erzählt sie. Genau wie beim Handeln mit Aktien wurde sie auch im Tischtennis derart gut, dass sie ein Jahr später nicht nur ihren Mann haushoch schlug, sondern es bis in die Bundesliga schaffte.
Bis heute ist Beate Sander eine unbeugsame, ehrgeizige Kämpferin. Kein Wunder. Bereits als Mädchen war sie eine Entdeckerin. Sie experimentierte lieber mit Pferdeäpfeln, als mit Puppen zu spielen, und wurde darum oft gehänselt.
Sie züchtete im Garten durch geschickte Auslese die dicksten Tomaten und größten Salatköpfe. Ihr Vater, ein kreativer Mann mit vielen Ideen, sägte für sie Baumscheiben zurecht und ließ sie in der Erde wühlen. Ihre Mutter hatte kein Verständnis für derlei Abenteuer und hielt sie bereits als Kind zur Arbeit an.
Als ihre Familie nach dem Krieg von Rostock nach West-Berlin floh, ließ die Mutter sie als einzige von sechs Geschwistern zurück – damit die Nachbarn nichts merkten, bis sie weit genug weg waren. „Ich musste die Tiere weiter versorgen und abends Licht machen“, erinnert sich Sander. 13 Jahre alt war sie. Nach zwei Wochen durfte sie nachkommen, fuhr allein mit dem Zug nach Berlin und suchte dort – nur mit einem zerknitterten Adresszettel – ihre Eltern.
Die Männer wurden in ihrer Familie bevorzugt
Sie wuchs in Berlin-Charlottenburg und später Schweinfurt auf und ging als junge Frau mit ihrem Mann nach Ulm. „Er wollte unbedingt ein Haus“, erzählt sie und man merkt, dass sie diesen Wunsch nicht so recht teilte. „Für ihn war es Bedingung, dass ich immer arbeite, um den Kredit mit abzuzahlen. Auch mit Kindern. Sonst hätte er mich nicht geheiratet.“

Quelle: Marcus Witte
Sie macht eine kurze Pause und lächelt verschmitzt. „Ich ihn übrigens auch nicht“, fügt sie hinzu. Ihre finanzielle Unabhängigkeit war ihr wichtig, schon immer. Daher machte sie einen Ehevertrag, entschied sich für Gütertrennung und hätte sich auch das Arbeiten nie verbieten lassen. Auch als sie schon die Kinder, einen Sohn und eine Tochter, hatte, arbeitete sie Vollzeit. „Damals musste man den Ehemann noch um Erlaubnis bitten“, erklärt sie, „das kann man sich gar nicht mehr vorstellen.“
Die jungen Frauen heute hätten es leichter, glaubt Sander. Im direkten Vergleich zu denen ihrer Generation, die noch den Krieg erlebten und ein Leben lang um Emanzipation kämpften, stimmt das sicherlich. „In meiner Familie wurden immer die Männer bevorzugt. Das fing schon beim besten Stück vom Braten an“, erinnert sie sich. Das bekam der Vater, das zweitbeste der Bruder. Am Schluss waren die Mädchen dran.
Ein Feiertag zu Ehren der Frauen, wie er am 8. März mit dem Weltfrauentag begangen wird, war ihrer Ansicht nach längst überfällig – weil Frauen so viel entbehren und so hart um Anerkennung kämpfen mussten und noch müssen. „Die Gleichwertigkeit der Frau kann nicht genug gefeiert werden“, sagt Beate Sander, „nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Familie. Denn nur im Kleinen kann eine Veränderung beginnen und um sich greifen.“
Von der Sparerin zur Anlegerin
Jungen Frauen rät sie, nicht zu jammern, sondern zu machen, sich ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen, mutig und immer ehrlich ihren Weg zu gehen. Junge Mütter sollten ihre Männer mehr einspannen und Männer ihre Dominanzansprüche ablegen, um Vereinbarkeit lebbar zu machen. „Ich sehe das bei meinem Sohn. Der hilft im Haushalt und bei der Kindererziehung“, sagt sie und man sieht, wie stolz sie darauf ist. Ihr Mann machte das, wie die meisten seiner Generation, nie.„Er war immer stolz auf mich“, sagt sie, „aber im Alltag unterstützt hat er mich kaum.“
Seine skeptische Einstellung zur Börse war es auch, die sie lange vom Investieren abhielt. Hinzu kam, dass sie ihre Eltern bis zu deren Tod finanziell unterstützen musste. Erst als Mitte der 1990er-Jahre der Kredit für das Haus abbezahlt und beide Eltern gestorben waren, konnte sie für sich vorsorgen.

Quelle: Marcus Witte
Geerbt hatte sie nichts. „Ich habe 30000 Euro gespart und in Aktien gesteckt“, sagt sie. Wie zu der Zeit viele Deutsche, startete auch sie mit der Telekom-Aktie und bewies, dass es sich lohnt – egal, wie alt man ist – mit dem Vermögensaufbau zu beginnen.
Am Abend – wir sind erledigt vom langen Tag – gibt Beate Sander noch einen Börsenkurs. Von Müdigkeit bei ihr keine Spur. Wir sitzen unter den Seminarteilnehmern, die zur Feier des Tages Kuchen und Geschenke mitgebracht haben und singen „Happy Birthday“. Beate Sander hat rote Wangen bekommen. „Nein, nein, das ist doch nicht nötig“, sagt sie immer wieder. Aber man sieht, wie gerührt sie in Wirklichkeit ist. „Wir sind Ihnen sehr dankbar“, ‚sagt ein Mann in der ersten Reihe, der aufgestanden ist. „Sie haben uns schon so viel vermittelt, nicht nur Börsenwissen, sondern vor allem auch Mut.“
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