Sie ist die wichtigste Versicherung für alle, die von ihrer Arbeit leben müssen, doch nur jeder Vierte hat sie: eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Worauf man achten muss und was zu tun ist, falls eine komplette Absicherung unerreichbar ist.
Von Astrid Zehbe und Martin Reim
Es war November 2013, als sich das Leben von Kate R. (Name von der Redaktion geändert) auf einen Schlag änderte. Beim Bücken im Supermarkt bemerkte sie einen Druck in ihrer rechten Brust. Zu Hause ertastete sie einen fingernagelgroßen Knoten. Schon wieder ein Fibrom, dachte sie. Solch eine gutartige Geschwulst war vor einigen Jahren schon einmal bei ihr entdeckt worden.
Die Berlinerin war dennoch beunruhigt und machte einen Termin bei ihrer Frauenärztin und wurde von dort aus ins komplexe Räderwerk der deutschen Krebsmedizin katapultiert. Die Diagnose: Brustkrebs. Hochgradig aggressiv, erblich bedingt, aber ohne Metastasen – immerhin.
Kate R. wurde operiert und ein Martyrium aus langwierigen Chemo-und Bestrahlungstherapien begann. An Arbeiten war lange Zeit nicht zu denken. Für viele in ihrer Situation kommen neben den körperlichen Strapazen noch finanzielle Sorgen hinzu.
Kate R. hingegen hatte Glück im Unglück: Ihre Mutter hatte für sie nach dem Studium eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Diese sprang ein, und die damals 35-Jährige war wenigstens die Geldsorgen los.
Nicht auf den Staat verlassen
Rund jeder vierte Deutsche wird im Lauf seines Arbeitslebens berufsunfähig. Das bedeutet, der erlernte Beruf kann wegen Unfall oder Krankheit nicht mehr ausgeübt werden – dauerhaft oder wie bei Kate R. zeitweise für einige Monate oder Jahre.
Bis zum Jahr 2001 war die Arbeitskraft dank einer staatlichen Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrente zumindest teilweise abgesichert. Heute läuft sie unter dem Namen Erwerbsminderungsrente auf einem deutlich abgesenkten Leistungsniveau. Sie reicht in der Regel nicht einmal annähernd, um den Einkommensausfall zu kompensieren.
Anspruch auf eine volle Rente hat zudem nur, wer weniger als drei Stunden täglich arbeiten könnte – egal in welcher Tätigkeit. Es ist daher ratsam, das Risiko einer Berufsunfähigkeit (BU) privat abzusichern.
Wie wertvoll die eigene Arbeitskraft ist, machen folgende Zahlen deutlich: Rund 816.900 Euro verdient ein durchschnittlicher Angestellter hierzulande während seines Arbeitslebens. Akademiker kommen sogar auf siebenstellige Beträge.
Wird man krank, zahlt der Arbeitgeber Angestellten in der Regel sechs Wochen lang das Gehalt weiter, danach springt bei gesetzlich Versicherten die Krankenkasse ein. Diese zahlt ein sogenanntes Krankengeld. Es beträgt allerdings nur noch 70 Prozent des letzten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts – maximal jedoch 103,25 Euro pro Tag, vor Steuern und Sozialabgaben.
Wegen derselben Erkrankung darf es insgesamt höchstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren bezogen werden. Privat Versicherte können längere Krankheiten mit einer Krankentagegeldversicherung absichern – allerdings zahlt diese nur so lange, wie eine Genesung zu erwarten ist.
Liegt eine Berufsunfähigkeit vor, hat dies in der Regel die Beendigung der Krankentagegeldzahlung zur Folge.
An einer Berufsunfähigkeitsversicherung führt also kaum ein Weg vorbei – egal ob man privat oder gesetzlich versichert ist. Sie springt ein, wenn ein Angestellter nur noch maximal 50 Prozent der vorher geleisteten Arbeit schafft. Als Grundlage gelten hier die Arbeitsstunden.
Problematisch wird das, wenn die versicherte Person nach dem Abschluss einer BU- Versicherung von Vollzeit auf Teilzeit reduziert: Dann wird die Berufsunfähigkeit anhand der zuletzt ausgeübten Teilzeittätigkeit geprüft. Man muss also gesundheitlich deutlich stärker beeinträchtigt sein, bevor der Schutz greift.
Wer weiß, dass in Zukunft eine Teilzeittätigkeit beabsichtigt ist, sollte dies mit dem Versicherer besprechen und gegebenenfalls auf Teilzeitklauseln bestehen.
Eine weitere Voraussetzung für die Zahlung einer BU-Rente ist die Prognose, dass die Berufsunfähigkeit dauerhaft anhalten wird. In vielen Versicherungsbedingungen ist „dauerhaft“ als ein Dreijahreszeitraum festgelegt. Es ist jedoch empfehlenswert, einen deutlich kürzeren Prognosezeitraum individuell mit dem Versicherer zu vereinbaren, beispielsweise sechs Monate.
Risiko bestimmt Beitragshöhe
Doch eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen, ist nicht so einfach. Die Versicherungen versuchen – wenig überraschend –, sich nur jene Kunden zu angeln, bei denen eine Berufsunfähigkeit besonders unwahrscheinlich ist. Wer exakt ins Raster passt, kann sich über einen extrem günstigen Vertrag freuen. Weicht aber auch nur ein Detail ab, lehnt der Versicherer möglicherweise ab.
Manche sogenannten BU-Risiken, etwa Rückenleiden oder psychische Erkrankungen, lehnen Versicherer pauschal ab oder schließen sie als Einzelrisiken vom Versicherungsschutz aus. Sind sie doch bereit, diese Risiken zu versichern, sind die Prämien, die es zu bezahlen gilt, hoch.
Ähnlich ist es beim ausgeübten Job: Jemand, der den ganzen Tag im Büro ist, wird sich im Schnitt günstiger versichern lassen können, als jemand, der körperlich oder an gefährlichen Maschinen arbeitet. Denn Bürotätigkeit gilt bei Versicherern als eher gesundheitsschonend.
Die unabhängige Ratingagentur Franke und Bornberg hat die Prämienabweichungen für einen Beispielfall dargelegt: Wenn ein Einzelhandelskaufmann statt zu 76 Prozent nur zu 70 Prozent im Büro arbeitet, zahlt er womöglich mehr als das Doppelte der ursprünglichen Prämie.
Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen will, sollte sich Angebote mehrerer Versicherer einholen. Das zeigt eine Studie des unabhängigen Versicherungsmaklers Helge Kühl. Für die Zeitschrift „Ökotest“ wertete er vor gut sechs Jahren mehr als 5000 Anfragen für 1100 reale Personen aus.
In der ersten Runde hatte er sich an jeweils drei Anbieter gewandt. Ergebnis: Nur vier Prozent der Anträge gingen bei allen Unternehmen durch. Im Schnitt waren fünf Anläufe nötig, bis mindestens eine Offerte mit akzeptablen Preisen und Bedingungen zurückkam.
Komplizierte Angebotserstellung
Wer sich für eine BU-Police interessiert, sollte seine Anfragen nicht auf eigene Faust stellen, betont Bianca Boss, Sprecherin der Verbraucherorganisation Bund der Versicherten (BdV). Wird der Antrag abgelehnt, riskiert man, dass die eigenen Daten im Hinweis- und Informationssystem (HIS) der Versicherungsbranche gespeichert werden. „Eine Ablehnung verringert die Erfolgsaussichten von Anträgen bei anderen Anbietern“, warnt Boss.
Mit HIS machen die Versicherer Jagd auf Betrüger und sammeln Daten zur Risikoprüfung. Die Auskunftei stellt die Daten nur den Versicherern zur Verfügung, eine gesonderte Einwilligung der Betroffenen ist nicht nötig. Sachbearbeiter, die auf HIS-Einträge stoßen, prüfen Anträge besonders eingehend.
Für einen HIS-Vermerk reicht bei einem Antrag auf eine BU-Police schon eine Vorerkrankung wie ein Hörsturz, ein gefährlicher Beruf oder eine hohe Versicherungssumme. Boss empfiehlt darum, zunächst anonym abzufragen, ob überhaupt Chancen auf einen Vertrag bestehen. Diese Risikovoranfrage kann laut Boss über Versicherungsberater und ‑makler gestellt werden.
Was ist beim Antrag noch zu beachten? „Sich dagegen zu wappnen, dass der Versicherer im Schadensfall nicht zahlen will“, rät Beatrix Hüller, Fachanwältin für Versicherungsrecht, die jahrelang BU-Fälle bei einem Versicherer reguliert hat. Konkret bedeute das: Die Antragsfragen zur Gesundheit möglichst exakt beantworten, sonst ist die Gefahr groß, dass der Versicherer mit einer Verweigerungstaktik durchkommt.
Krankenakte genau prüfen
Hüller rät, vor einem Antrag die Auskunft des Krankenversicherers einzuholen und die Akte des Hausarzts beizufügen – und vorher auch selbst einen Blick hineinzuwerfen: Ein häufiges Problem sind sogenannte Abrechnungsdiagnosen. Sie entstehen, wenn Ärzte eine bestimmte Behandlung bei der Krankenkasse nicht adäquat abrechnen können und eine andere Krankheitsbezeichnung heranziehen.
Frauen, die etwa auf eine andere Pille umsteigen wollen, haben aus Abrechnungsgründen plötzlich psychische Beschwerden. Das kann dazu führen, dass die Versicherung bestimmte Erkrankungen vom Schutz ausschließt. Kommt die Falschdiagnose später, wenn die BU-Rente eingefordert wird, ans Licht, erhält man keinen Cent, obwohl man vielleicht über Jahre hinweg Prämien gezahlt hat.
Ein häufiger Streitpunkt ist die abstrakte Verweisung – eine Falle, die man in seiner BU-Police ebenfalls ausschließen sollte: Unter Umständen muss der Versicherer keine BU-Rente zahlen, wenn es für die Qualifikationen und die Berufserfahrung des Antragstellers einen gleichwertigen Job in einem anderen Umfeld gäbe. Eine Chirurgin, die beispielsweise nicht mehr operieren kann, wohl aber in der Lage wäre, Sprechstunden abzuhalten, ginge dann leer aus.
Auch beim Ausfüllen des Antrags durch den Berater können Fehler passieren, die sich später rächen. „Deshalb sollte man von dem Termin ein Gedächtnisprotokoll anfertigen und einen Zeugen dabeihaben“, empfiehlt Beatrix Hüller. Zudem sollte man über den Abschluss einer Rechtsschutzpolice nachdenken, denn immerhin wird rund ein Fünftel der Anträge auf eine BU-Rente abgelehnt.
Auch bei Kate R. hatte sich die Versicherung zunächst quergestellt und wollte nicht zahlen. Erst nach einer Beschwerde floss das Geld dann doch.
Eine weitere Schwierigkeit ist es, die Höhe der künftigen BU-Rente festzulegen. Empfohlen wird häufig, 70 bis 80 Prozent des Nettoeinkommens abzusichern. Was dabei vergessen wird: Auch auf die BU-Rente müssen Sozialabgaben und unter Umständen Steuern gezahlt werden.
Zudem entfällt bei der BU-Rente die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung, was wiederum bedeutet, dass die BU-Rente hoch genug sein sollte, um private Altersvorsorge zu betreiben. Je höher die gewünschte BU-Rente, desto höher sind jedoch auch die Prämien für die Versicherung.
Alternativen zu BU prüfen
Sollte man angesichts solcher Unsicherheiten überhaupt versuchen, eine BU-Versicherung abzuschließen? Vorausgesetzt, dass man einen bezahlbaren Vertrag bekommt, sagt BdV-Sprecherin Boss klipp und klar: „An dieser Police führt kein Weg vorbei.“
Kate R. ist ihrer Mutter noch immer dankbar, dass diese die Berufsunfähigkeitsversicherung für sie abgeschlossen hat, als sie jung und gesund war. „Heute würde ich angesichts meiner Vorerkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen BU-Vertrag mehr bekommen“, sagt die Berlinerin.
Doch was sollte jemand tun, der an untragbar hohen Prämien oder einer branchenweiten Ablehnung scheitert? Da gibt es einige Alternativen. Sie alle bieten – wenn man eine Parallele zum Auto zieht – quasi Teilkaskolösungen mit unterschiedlichen Umfängen, während BU-Policen der Vollkaskoschutz für die Arbeitskraft sind.
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